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Interview Konstantin von Notz, Sprecher für Netzpolitik Bündnis 90/ Die Grünen

Interview-von-Notz

Die Digitalisierung lässt die Welt immer enger zusammenrücken. Trotzdem gibt es in der digitalen Sphäre kulturelle Unterschiede. Darüber sprechen wir heute mit Konstantin von Notz. 

Herr von Notz, „Der gute Bürger hat nichts zu verbergen, auch nicht im digitalen Bereich“ - dieser Aussage stimmen viel, viel mehr Amerikaner zu als Europäer, oder? 

Also, ich bezweifele es. Ich glaube, dass auch in den USA - gerade in den USA - ein großes Empfinden für Privatsphäre da ist. Aber auch in Deutsch-land: Hier haben viele Menschen in der DDR die Erfahrung gemacht, was es bedeutet, wenn der Staat die Privatsphäre nicht respektiert, und das will man nicht wiederhaben. 

Sie haben gerade die Diktaturerfahrungen in Europa angesprochen. Daraus resultiert ja auch die Einstellung der Europäer zum Datenschutz. Kann man sich diese Haltung heutzutage noch leisten, oder ist das nicht mehr zeitgemäß in der digitalen Ära? 

Es ist zeitgemäßer denn je. Sie merken das an den Diskussionen, die wir ha-ben, über das Hacken von verschlüsselter Kommunikation. Aber das gibt es eben auf beiden Seiten des Atlantiks: In den USA ein Riesenstreit zwischen Apple und dem FBI, ob man zugreifen darf auf persönliche Daten, selbst bei einem konkreten Terrorverdacht. 
Also, ich glaube, klar gibt es immer unterschiedliche Kulturen, am Ende des Tages macht die Privatsphäre einen Rechtsstaat zu einem Rechtsstaat, und insofern ist es gar keine Frage, ob wir sie uns leisten können, sondern sie ist existenziell, von der Menschenwürde bis hin zu jedem selbstbestimmten Leben, und deswegen muss der Rechtsstaat sie schützen. 

Gibt es Punkte beim Thema Datenschutz, wo Europa und Amerika voneinander lernen könnten? 

Ja, ich glaube, dass der Datenschutz auf beiden Seiten des Atlantiks die grundsätzliche Währung für das Vertrauen in die digitale Welt ist, und dass am Ende des Tages diese Entwicklung eintritt, die wir uns tatsächlich wünschen, nämlich dass Menschen mehr in die digitale Infrastruktur vertrauen, dass man die Vorzüge nutzen kann. Das ist unmittelbar daran gebunden, dass man dieser Infrastruktur vertrauen kann. 

Da gibt es - nicht erst seit Snowden, aber erst seit Snowden - ganz erhebliche Vorbehalte, und die führen auch zu ganz erheblichen Einbußen bei Unter-nehmen. Also, die Snowden-Affäre hat vor allen Dingen in Amerika ganz, ganz stark geschadet. 

Nun muss der Staat ja nicht nur Bürgerdaten schützen, sondern ab und zu auch den Bürger vor schädlichen Daten schützen - Stichwort „Cyber-Attacken“. Was wären aus Ihrer Sicht geeignete Schutzmaßnahmen, die interkontinental und interkulturell, sowohl in Europa als auch in Amerika, funktionieren könnten? 

Wir müssen erst einmal klarstellen, dass das, was für die analoge Welt gilt, eben auch in der digitalen gilt, nämlich Artikel 10: das Grundrecht auf Priva-theit der Kommunikation. Und solange eben massenhaft und anlasslos die Daten abgegriffen werden, so lange gibt es dieses Grundrecht nicht. Dafür braucht man Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, dafür braucht man eine klare Positionierung der Sicherheitsbehörden, die sagen: „Wir wollen zwar an bestimmte Kommunikation ran, aber nur in einem konkreten Einzelfall, wenn wir einen Tatverdacht haben - wie in der analogen Welt“.

Und da sind wir eben noch nicht. Von drei Staatsrechtlern, die uns im Unter-suchungsausschuss zu Snowden sehr eng beraten haben, kam die Forderung auf, dass man das auch grundrechtlich noch mal klarstellen muss, dass der Staat eben für die Integrität dieser Sicherheitsinfrastruktur verantwortlich ist, und das eben auch gesetzlich gewährleisten muss. 

Das heißt, das Fazit lautet, wir sollten unsere europäischen Ideale zu Datenschutz und Schutz des Individuums weiter tapfer hochhalten?

Ich glaube, dass das nicht unsere Ideale sind, sondern das sind die Ideale der westlichen Welt, der westlichen Demokratien. Und es ist ein großer Trugschluss, wenn man glaubt, dass das in Amerika anders ist. In Amerika behan-delt man Ausländer halt außerhalb der Verfassung. Das tut man aber hier beim Bundesnachrichtendienst auch. Insofern, in der Schäbigkeit des Behandelns von Menschen, die keine Staatsbürgerschaft haben, schenken sich Deutschland und die USA wenig. 

Das ist aber der Ist-Zustand, und mit dem können wir uns nicht zufriedenge-ben. Wenn Sie in der digitalen Welt einen moralischen Rechtsstaatsanspruch stellen wollen gegenüber Nordkorea und den Chinesen und Russland, dann müssen Sie die rechtsstaatlichen Grundsätze, die für die analoge Welt galten, auch in der digitalen Welt hochhalten. Sonst stellen Sie den digitalen Wandel grundsätzlich infrage. Davor kann ich nur sehr warnen. 

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