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Die Zukunft der Arbeit in der digitalen Wirtschaft: Chancen und Risiken

Ein Beitrag von Steven Hill.

Wie werden die Arbeitsstellen der Zukunft in einer „Sharing Economy“ aussehen, in der Unternehmen wie Uber, Upwork und ClickWorker Vorbilder für neue Unternehmensformen sind?

Einerseits - und das ist der positive Aspekt - können diese neuen Beschäftigungsformen auch neue Möglichkeiten eröffnen. Internetplattformen bringen auf sehr effiziente Weise Arbeitssuchende und kurzfristige Jobs zusammen und mancher, der nicht auf eine Vollzeitstelle angewiesen ist, schätzt die Flexibilität dieser Dienste. Für die „Außenseiter des Arbeitsmarktes“, also diejenigen, die von jeher schon Schwierigkeiten hatten, eine Vollzeitstelle zu finden - wie Migranten, junge Leute und in gewissem Umfang auch Frauen und ältere Arbeitskräfte - kann dieser alternative Zugang zu befristeter Teilzeitarbeit hilfreich sein. Für die Beschäftigten in technischen Branchen, in denen die Löhne tendenziell über dem Durchschnitt liegen, kann diese flexible Arbeit in temporären Jobs ebenfalls Vorteile bieten.

In anderen Beschäftigungsbereichen und Branchen zeigt sich jedoch, dass die Tätigkeit von Niedriglohnarbeitern in der „Sharing Eonomy" keine wirkliche Teilhabe bietet. Die Erfinder dieser neuen Wirtschaftsform, auch „Gig Economy" genannt, kommen aus dem Silicon Valley. Sie behaupten, dass ihre Unternehmen die Arbeitskräfte „befreien“, sodass sie „unabhängig“ werden und „ihr eigener Chef“ sein können. In Wirklichkeit verdingen sich diese Arbeitskräfte zu immer kleineren Jobs (sogenannten „Gigs“ oder „Mikrogigs“), die unzureichend bezahlt sind und weder soziale Sicherheit noch Arbeitsplatzgarantien bieten, während die Unternehmen selbst ein gutes Geschäft dabei machen.

Der Prototyp dieser neuen digitalen Unternehmen ist Upwork, mit Firmensitz in San Francisco und gerade mal 250 regulär angestellten Mitarbeitern, die mithilfe digitaler Technologie ein Heer von 10 Millionen Freelancern und Kontraktoren in der ganzen Welt überwachen. Die Jobs, die Upwork anbietet, richten sich u.a. an Architekten, Ingenieure, Rechtsanwälte, Website- und App-Designer, Übersetzer, Softareentwickler, Logo- und Grafikdesigner. Deutsche Arbeitskräfte bewerben sich in direkter Konkurrenz mit Arbeitnehmern aus Indien, Thailand, den USA und vielen anderen Ländern um Jobs, die über Onlinebörsen vergeben werden und bei denen oft die billigsten Anbieter gewinnen.

In den USA, wo diese Entwicklung schon am weitesten fortgeschritten ist, gewinnen diese Unternehmen, die sich vom Präkariat nähren, nicht nur im Silicon Valley an Boden, sondern zunehmend auch in traditionellen Branchen, wie der Automobil- oder Pharmaindustrie, an Universitäten, im Transportwesen, bei Zeitungen, Rundfunkanstalten, im Bereich Kunst und Unterhaltung, im Aktienhandel und in vielen anderen Bereichen. So besteht zum Beispiel schon heute bei einigen US-Autoherstellern die Mehrheit der Beschäftigten aus Zeitarbeitskräften. Sie bekommen ein niedrigeres Gehalt, haben weniger Arbeitsplatzsicherheit und eine geringere soziale Absicherung als die regulären Angestellten, obwohl sie genau die gleiche Arbeit verrichten. Seit dem Ende der Rezession wurde in den USA fast ein Fünftel aller Stellen im Zeitarbeitssektor geschaffen. Bei knapp der Hälfte aller Stellen, die in der sogenannten Zeit der „wirtschaftlichen Erholung“ entstanden sind, liegt die Vergütung nur knapp über dem Mindestlohn.

Die schnelle Einführung einer software- und algorithmengesteuerten Produktivität hat zu einem Anstieg an Kontraktoren, Zeitarbeitskräften, Freelancern und Teilzeitarbeitskräften geführt. Berücksichtigt man dann noch die immer stärkere Automatisierung und den zunehmenden Einsatz von Robotern, Algorithmen und Künstlicher Intelligenz, ist klar, warum der Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini der Ansicht ist, dass „die Fabrik der Zukunft vermutlich aus 1.000 Robotern und einem Arbeiter bestehen wird, der sie beaufsichtigt."

Entgegen der euphemistischen Rhetorik der Unternehmen, die diese Arbeitskräfte als „Geschäftsführer ihres eigenen Unternehmens“ bezeichnen, sieht die Realität ganz anders aus. Die Arbeitnehmer in der „Gig Economy“ verbringen viel (unbezahlte) Zeit damit, ihrem nächsten Job hinterher zu rennen. Viele Freelancer und Kontraktoren sind an einem Arbeitstag für unterschiedliche Auftraggeber tätig, müssen mit ganz verschiedenen Jobs jonglieren und sich auch noch darum kümmern, dass sie am Ende ihr Geld bekommen. Gar nicht davon zu reden, dass sie auch noch die Hälfte an Sozialabgaben selber tragen müssen, die normalerweise der Arbeitgeber zahlt.

Bei einer regulären Beschäftigung wird eine Arbeitskraft regelmäßig und pünktlich für eine bestimmte, vorher vereinbarte Anzahl an Arbeitsstunden pro Tag bezahlt. Erholungspausen, Mitarbeiterbesprechungen, Schulungen und selbst die Kaffeepause in der Cafeteria fallen bei einer regulären Beschäftigung unter bezahlte Arbeitszeit. Aber die „Gig Economy“ hebt diesen Sozialvertrag auf. Sie reduziert den Wert einer Arbeitskraft auf die exakte Anzahl der Minuten, in der diese einen Bericht erstellt, ein Logo entwirft oder eine Wohnung reinigt. Das ist so, als wenn die großen Fußballstars nur dann bezahlt würden, wenn sie ein Tor schießen oder ein Koch pro Gericht, das seine Küche verlässt, entlohnt wird. Es gibt weder Jahresgehälter, noch bezahlte Weiterbildung und Forschung. Es ist Akkordarbeit wie im 19. und frühen 20. Jahrhundert, eine Arbeitssituation „zurück in die Zukunft“.

Ein Arbeiter berichtete von seinem Versuch, sich auf TaskRabbit und andere Jobbörsen im Internet einzulassen und sein Glück damit zu machen. Schnell wurde er jedoch zum bloßen Hamster im Rad. „Die angebotenen Honorare sehen auf den ersten Blick anständig aus, bis du merkst, dass du mindestens die Hälfte deiner Zeit damit verbringst, von einem Job zum nächsten zu pendeln oder dich damit herum zu ärgern, dass ein Job floppt und weder das eine noch das andere bezahlt wird", erzählt er. „Dann rechne noch die 15% Steuer hinzu, die Selbständige in den USA in die Sozialssysteme einzahlen müssen, die Provision, die die Plattformbetreiber bekommen (in der Regel 10-20% des Honorars) und es wird echt ätzend.“

Aber alles kein Problem, denn während immer mehr Arbeitskräfte unter Niveau beschäftigt und unterbezahlt sind, können Sie einen Zusatzverdienst erwirtschaften, indem Sie „Ihre Vermögenswerte zu Geld machen" - vermieten Sie doch Ihr Haus über Airbnb oder Ihr Auto über Uber und Ihre gerade nicht benötigte Bohrmaschine oder andere persönliche Gegenstände auf anderen Websites.

Viele Wirtschaftsbosse sprechen mit leuchtenden Augen von dieser Hypereffizienz. Leah Busque, Geschäftsführerin von TaskRabbit, fasst es in folgende Worte: „Wir befähigen diese unabhängigen Kontraktoren, ihr eigenes Geschäft aufzubauen." Wir müssen uns allerdings fragen - für wen ist das eigentlich effizient? Wie soll man Effizienz in einer modernen Wirtschaft definieren? Ist Vollbeschäftigung mit anständiger Bezahlung und stabilen Jobs nicht „effizient“?

Die Änderungen, die sich gerade in der Wirtschaft vollziehen, können am Ende sehr viel weitreichendere Konsequenzen haben als nur für die einzelnen Arbeitskräfte und ihre Familien. Die deutsche Wirtschaft lebt, ebenso, wie die amerikanische, zu 70% vom Privatkonsum. Was wird passieren, wenn immer weniger Menschen eine angemessen bezahlte Arbeit und damit nicht mehr genug Geld haben, um die Waren und Dienstleistungen zu kaufen, die Unternehmen anbieten? Wenn weniger Kunden kaufen, müssen die Unternehmen Mitarbeiter entlassen, was zu einer weiteren Reduzierung der Kunden führt - eine Abwärtsspirale, die von rezessivem und deflationärem Druck gesteuert ist.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Die digitale Wirtschaft und die damit verbundenen Innovationen haben sicher Potenzial - aber nur, wenn sie auch angemessen reguliert werden. Andernfalls führen diese Internetdienste dazu, dass die Mittelklasse und die Makroökonomie, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg so erfolgreich waren, weiter ausgehöhlt werden.

Glücklicherweise gibt es pragmatische und umsetzbare politische Lösungen. Eine dieser Lösungen könnte in einem „mobilen Sicherheitsnetz“ bestehen, das der Beschäftigte mit sich nimmt, wenn er von Job zu Job weiterzieht. Jedem Arbeitnehmer könnte ein individuelles Sicherheitskonto zugewiesen werden und das jeweilige Unternehmen würde anteilig, bemessen an der Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden, einen kleinen Beitrag in dieses „Sicherheitsnetz“ einzahlen. Das wäre so etwas wie eine „Künstlersozialkasse für alle” und könnte auf dem schon bestehenden System für Künstler, Publizisten und Musiker aufbauen, um noch weitere Berufe zu integrieren, die bereits heute oder doch in der Zukunft vom Wohlfahrtssystem ausgeschlossen sind.

Innovative Rahmenbedingungen dieser Art können dazu beitragen, die Mittelklasse zu stärken und als automatisches makroökonomisches Stabilisierungssystem fungieren, sodass die ganze Gesellschaft von neuen Technologien und Innovationen profitieren kann und nicht nur eine kleine Minderheit den Rahm abschöpft.

Steven Hill ist Journalist und Holtzbrinck-Fellow an derAmerican Academy in Berlin. Er ist Autor von Raw Deal: How the ‘Uber Economy’ and Runaway Capitalism Are Screwing American Workers. Lesen Sie mehr unter @StevenHill1776

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