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Digitalisierung und Gesundheit: Video-Interview mit Prof. Christiane Woopen

Interview mit Prof. Christiane Woopen, Direktorin des Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health (ceres) an der Universität zu Köln.

Interview-Woopen


Was sind die Vorteile von Big Data in der Gesundheitsanwendung?

Prof. Christiane Woopen: Die Vorteile von Big Data liegen darin, dass man vielfältige Daten zusammenführen kann, z.B. von verschiedenen Ebenen der Körperlichkeit, wie Gene, Proteine, Stoffwechselprodukte etc., aber auch Lebensstildaten oder Daten aus sozialen Netzwerken, von Ernährungsverhalten, Sportprogrammen etc. Und daraus kann man zum einen etwas lernen über die Entstehung von Krankheiten. Man kann Forschung betreiben, und man kann idealerweise irgendwann eine ganz individuell zugeschnittene Therapie und Prävention anbieten.

Das sind die positiven Seiten. Gibt es daneben auch die Schattenseiten? Wie denken Sie darüber?

Prof. Christiane Woopen: Ja, es gibt natürlich auch die Herausforderungen, die damit verbunden sind. Vor allen Dingen bestehen die in der Qualität der Daten und der Algorithmen, die dann Zusammenhänge feststellen oder Hypothesen aufstellen, warum etwas passiert in einer Krankheit und warum sie so und so verläuft.

Es gibt die Herausforderungen für den Datenschutz. Es gibt die Probleme bei der Selbstbestimmung der Patienten und der Nutzer im Umgang mit den Daten, auch zum Schutz der Privatsphäre. Und nicht zuletzt gibt es auch die Probleme bei der Datenfreigabe, zum Beispiel bei Krankenversicherungen, wo es dann um die Gestaltung der Versicherungstarife geht. Also kann es sein, dass Versicherungen beobachten, wie verhält sich derjenige, um dann darauf vielleicht die Tarife anzupassen und mehr Verantwortung dem einzelnen Patienten, dem einzelnen Kassenmitglied zuzuschieben und zu sagen: "Du hast dich so zu verhalten, dass du dafür sorgst, dass du auch gesund bleibst"?

Prof. Christiane Woopen: Ja, es gibt ja international schon die Bemühungen um verhaltensbasierte Versicherungstarife. Da werden von Wearables beispielsweise die Schritte, die man pro Tag geht, an die Versicherung gemeldet, und dementsprechend bekommt man Boni, also Punkte, und nachher ist man in einem Bonusprogramm drin. Das hat Auswirkungen auf die Solidarität, auch auf die Zuschreibung von Verantwortung. Es hat aber auch Auswirkungen darauf: Wer definiert eigentlich, was wir unter Gesundheit verstehen? Warum sind ausgerechnet die Schritte entscheidend, aber nicht beispielsweise Meditation für die psychische Gesundheit oder Ähnliches? Also, insofern hat das schon systemische Bedeutung, welche Daten an wen zu welchem Zweck tatsächlich zur Auswertung freigegeben werden.

Stichwort "Verantwortung des Einzelnen". Hat jeder dann selber auch Sorge zu tragen, was er mit seinen Daten macht, wie er mit Wearables umgeht, welche Freigaben er für seine Daten abgibt und wo die Daten eventuell landen könnten?

Prof. Christiane Woopen: Ja, der Einzelne hat eine hohe Verantwortung für den Umgang mit seinen Daten, aber er kann sie schon gar nicht mehr vollständig selbst ausführen. Die Datenschützer, die Datenschutzbeauftragen haben ja gerade den Wearables auch ein sehr schlechtes Zeugnis ausgestellt, was den Datenschutz und die Transparenz anbetrifft. Ich glaube, es kommt letztlich darauf an, dass wir eine gute Balance hinbekommen zwischen dem Vertrauen, das der Einzelne auf die staatliche Regulierung und auch die ethische Governance aller beteiligten Akteure, Unternehmen, Anbietern von Wearables etc. haben kann, und der Selbstbestimmung des Einzelnen im Umgang mit seinen Daten. Nur dazu muss er auch in gewisser Weise ermächtigt werden und überhaupt die Möglichkeit haben, indem er die Datenschutzbestimmungen, die Datenfreigaben überhaupt versteht, nachvollziehen kann, an wen sie weitergegeben werden, was damit gemacht wird etc. Das ist aufwendig; es sollte aber möglichst einfach tatsächlich sein.

Wenn wir uns die zukünftigen Entwicklungen anschauen, die machen ja vielen Leuten vielleicht auch Angst, und man könnte sagen: Lasst uns das alles stoppen und den Status quo so erhalten, wie er jetzt ist. Würden Sie dem zustimmen?

Prof. Christiane Woopen: Nein. Die Digitalisierung wird alle unsere Lebensbereiche tiefgreifend verändern und tut es ja auch schon. Und wir können und sollten, finde ich, diesen Prozess nicht bremsen, sondern sehr aktiv gestalten. Und insofern glaube ich, dass gerade im Gesundheitswesen nicht das Bremsen angesagt ist, sondern das konsequente Voranschreiten und in Deutschland tatsächlich endlich mal Gas zu geben.

Also, das hört sich schon in Richtung klare Forderungen an. Und wie würde Ihr Wunsch dann konkret aussehen, wie man Gas geben sollte?

Prof. Christiane Woopen: Ich würde mir einen Think Tank* wünschen, der tatsächlich konsequent ein Modell für unser Gesundheitssystem entwirft, das nutzer- und patientenzentriert ist, wo der Einzelne die Kontrolle und Souveränität über seine Daten hat und wo er sich unabhängig von den bisher noch viel zu starren Sektoren ein Gesundheitsnetz zusammenstellen kann und von den Menschen, von den Gesundheitsberufen vertrauensvoll versorgt werden kann, aber qualitätsgestützt und eben auch datengestützt, zu seinem Nutzen. Also, ein konsequenter Umbau des Gesundheitswesens um den Nutzer und Patienten herum.

*Sie sagen Think Tank. Wer sollte in diesem Think Tank sitzen?

Prof. Christiane Woopen: Da sollten alle Disziplinen vertreten sein, die zu diesem Umbau erforderlich sind. Es sollten eben auch Patientenvertreter oder Bürger drin sitzen, die tatsächlich an Prävention zum Beispiel teilnehmen und noch gar keine Patienten sind, also gesellschaftliche Vertreter. Weg möchte ich allerdings von der Interessenvertretung von denen, die die Beharrung im System darstellen und eben auf ihren alten Interessen irgendwie beharren. Interessenvertretung ist natürlich wichtig, aber wir müssen die Sektorengrenzen endlich überwinden.

*Zusätzliche Frage aus dem Interview

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