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Jeden Tag eine neue Hiobsbotschaft – „aber bitte keine Panik!“ Wie soll man mit so einer paradoxen Situation umgehen? Wir haben die Psychotherapeutin  Christine Bauer-Jelinek um Beratung gebeten.

Symbolbild Stressabbau, Radfahren

Der Stress muss raus.

Frau Bauer-Jelinek, die Berichterstattung über die Corona-Krise bringt ein Symptom hervor, dem bisher in der öffentlichen Diskussion kaum Beachtung geschenkt worden ist: Sie erhöht enorm unseren Stresslevel. Und schwächt damit unser Immunsystem.

Christine Bauer-Jelinek: Die meisten Menschen waren in ihrem normalen Alltag schon in hohem Maße stressbelastet – sei es durch konkrete Sorgen, die Arbeit oder durch den Lebensstil. Jetzt kommt die Corona-Krise als akuter Stress zu diesem Dauerstress hinzu. 

Kein Wunder, denn es gibt ja scheinbar nur noch ein Thema, das alles beherrscht – ob zuhause oder im Büro.

Bauer-Jelinek: Durch die Art, wie diese Krise gehandhabt wird, nehmen wir sie als extreme Gefahr wahr. Stellen Sie sich nur mal einen Moment vor, dass es die Massenmedien nicht gäbe: Wir wüssten zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal, dass das Virus umgeht. Unter anderem dadurch, dass sich die Medien in ihrem Wettbewerb um Aufmerksamkeit täglich gegenseitig überbieten, werden enorme Ängste geschürt. Hinzu kommen die zunehmend drastischen Maßnahmen zur Eindämmung. Die Menschen empfinden neben Angst zunehmend Gefühle wie Ohnmacht und Wut – über die aber kaum gesprochen wird.

Und unsere physische Reaktion auf diese Emotionen ist Stress.

Bauer-Jelinek: Ja, unser Körper reagiert auf diese Bedrohungen mit der Ausschüttung von Stresshormonen:  Wir reagieren dann mit Flucht, Kampf oder Erstarrung.  Dann ist unser Handeln nicht mehr von Vernunft gesteuert.

Sollte es Möglichkeiten geben, mit zwei Kindern auf 70 Quadratmetern im Home-Office kühlen Kopf zu bewahren, seien Sie bitte so nett und verraten Sie sie uns.

Bauer-Jelinek: Die wenigsten von uns sind es gewohnt, zuhause zu arbeiten. Jetzt sollen wir nicht nur Ergebnisse abliefern, sondern müssen gleichzeitig noch Aushilfslehrer für unsere Kinder sein, die ja ebenfalls mit der Situation überfordert sind, das Essen auf den Tisch bringen und und und. Kreative Planung ist jetzt gefragt. 

Da liegen die Nerven schnell blank. Was kann helfen?

Bauer-Jelinek: Wenn Sie mit diesem Problem in meine Sprechstunde kämen, würde ich Ihnen zunächst einmal die W-Fragen stellen: Wie wohnen Sie? Welche räumlichen Möglichkeiten gibt es, auch auf Distanz zueinander zu gehen? Reale Situationen zu beschreiben hilft, die überbordende Fantasie einzudämmen. Dann arbeiten wir an Lösungen, wie sie Ihren Tag strukturieren können, indem Sie beispielsweise einen Zeitplan erstellen.

Wofür sollte ich auf jeden Fall Zeit einplanen?

Bauer-Jelinek: Für Bewegung. Am besten an der frischen Luft: Gehen Sie so viel wie möglich! Beachten Sie die Vorschriften und halten Sie Abstand zu anderen, aber gehen Sie raus! Adrenalin wird durch Bewegung abgebaut. Ob Sie joggen, Radfahren oder im Wald spazieren: Sie können Ihrem Körper keinen größeren Gefallen tun. Wer momentan das Haus nicht verlassen darf, kann Youtube-Anleitungen für Gymnastik oder Yoga nutzen oder einfach die Wohnung putzen. Alles ist besser als nur depressiv auf der Couch zu sitzen. Auch Bewegung im Kopf tut gut wie beispielsweise Selbstreflexion oder Tagebuchschreiben.

Meine Chefin wird womöglich nicht so begeistert sein, wenn ich ihre Mails nicht beantworte, weil ich gerade beim Waldlauf bin oder den herabschauenden Hund turne…

Bauer-Jelinek: In diesen Zeiten müssen Führungskräfte weg von Arbeitszeitkontrolle und hin zur Ergebniskontrolle. Die Menschen müssen ihren Tag ja zwangsläufig anders strukturieren. Auch wie die Leistung der Mitarbeiter gemessen wird, muss den Umständen entsprechend relativiert werden. 

Wie schwer wiegt es, dass wir unsere Kolleginnen und Kollegen nicht mehr sehen und auch privat keine Freunde und Verwandte mehr treffen sollen?

Bauer-Jelinek: Sehr schwer. Der Mensch braucht Gesellschaft. Das liegt in seiner Natur. Wenn das soziale Miteinander eingeschränkt wird, müssen wir Wege suchen, uns dennoch mit anderen Menschen zu verbinden. Telefonieren Sie, nutzen Sie Videochats! Sprechen Sie mit anderen über Ihre Sorgen. Nehmen Sie Beratungsangebote wahr. Das kann Ihre Mitarbeiter-Hotline sein oder auch die Telefonseelsorge. 

Eine Frage zum Schluss: Das Lachen, das ja bekanntlich so gesund ist, bleibt einem dieser Tage im Halse stecken. Humor scheint gänzlich fehl am Platze, oder?

Bauer-Jelinek: Niemand traut sich mehr, einen Witz zu machen. Wenn man lacht, bekommt man sofort ein schlechtes Gewissen. Aber warum nicht lustige Filme schauen? Auch leichte Lektüre ist ein gutes Mittel sich abzulenken. Und natürlich das Spiel. Egal ob Computer-, Brett- oder Kartenspiel:  Hauptsache Ablenkung! 

Christine Bauer-Jelinek ist Psychotherapeutin und Autorin in Wien. Ihr Buch „Machtwort – Angst, Wut und Ohnmacht“ ist 2016 erschienen. Mehr Infos: www.bauer-jelinek.at

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