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Konzern

Unternehmenskultur: „Die Telekom macht sich nackt“

Anfang September hat die Telekom ein Projekt gestartet, mit dem das Unternehmen die eigene Unternehmenskultur unter die Lupe nehmen will. Den Co-Vorsitz hat der Konstanzer Professor Stephan Grüninger. Der Compliance-Experte erklärt im Interview, warum es für Unternehmen manchmal so schwer ist, ethisch zu handeln. Und wie es dennoch gelingen kann.

Prof. Stephan Grüninger

Prof. Stephan Grüninger: „Wenn sie systematisches Fehlverhalten wirklich verhindern wollen, müssen sich Unternehmen mit ihrer Kultur beschäftigen."

Herr Prof. Grüninger, Sie gelten als ein ausgewiesener Experte für gute Unternehmensführung. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie davon gehört hatten, dass die Telekom ihre Unternehmenskultur unter die Lupe nehmen will?

Stephan Grüninger: Der erste Gedanke war: Die sind aber mutig. Es gibt immer Kritiker, die nur nach Belegen für unmoralisches Handeln suchen. Die werden mit so einer öffentlichen Ankündigung regelrecht angespornt. Zudem ist auch klar, dass die Telekom jetzt liefern muss. Den Worten müssen Taten folgen. Mein zweiter Gedanke war aber: Endlich. Endlich geht ein Unternehmen diesen Weg. Und ich freue mich sehr, dass ich die Telekom dabei begleiten darf.

Wissen Sie von anderen Unternehmen, die so ein Projekt gestartet haben?

Grüninger: Nicht in dieser Form. Natürlich gibt es Unternehmen, die ihre Kultur mit Compliance- und Integritätsbarometern messen. Aber ich kenne keines, das das so öffentlich macht und dafür auch noch ein Gremium mit Experten einrichtet, die zweifellos unabhängig sind. Das zeigt, dass es der Telekom sehr ernst ist. Sie macht sich nackt, wenn Sie so wollen, im Bewusstsein, dass dabei auch unschöne Aspekte zu sehen sein werden …

Warum sollten sich Unternehmen überhaupt mit ihrer Kultur beschäftigen?

Grüninger: Machen wir uns nichts vor: Nicht nur aus moralischen Gründen, sondern vor allem, weil die Anforderungen höher geworden sind. Dabei geht es nicht nur um das Risiko, vor Gericht zu landen, sondern auch um Reputationsverlust. Und der kann teuer werden, wie wir in jüngster Zeit gesehen haben … Zu den höheren Anforderungen: Bis in die 90er Jahre konnte man in Deutschland Schmiergeldzahlungen im Ausland von der Steuer absetzen. Vor allem auf Druck aus den USA wurden die Regeln geändert. Und jetzt begreifen die Unternehmen, dass ein strikt legalistisches Compliance Management, das also nur auf die Einhaltung von Gesetzen abzielt, nicht mehr ausreicht. Wenn sie systematisches Fehlverhalten wirklich verhindern wollen, müssen sich Unternehmen mit ihrer Kultur beschäftigen. Sie müssen die Köpfe und Herzen aller Mitarbeiter erreichen.

Wie funktioniert das?

Grüninger: Zu analysieren, wie es tatsächlich um die Unternehmenskultur steht, ist sicher der richtige Ansatzpunkt. Dann braucht es aber vor allem Trainings: Führungskräfte und Mitarbeiter müssen sich mit praktischen Beispielen für ethische Dilemmata beschäftigen. Dadurch entstehen Diskussionen. Und nur so werden sie dazu befähigt, richtige Entscheidungen zu treffen. Sicherlich braucht es für eine auf Compliance ausgerichtete Unternehmenskultur einen langen Atem. Das geht nicht von heute auf morgen. Und es wird auch Rückschläge geben.

Wie kommt es überhaupt zu Fehlverhalten?

Grüninger: Der wichtigste Grund sind falsche Anreize. Die wenigsten Menschen haben eine kriminelle Motivation in sich, die sie dazu bringt, Gesetze und Regeln zu brechen. Sie tun das, weil sie glauben, es tun zu müssen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Deshalb müssen Ziele realistisch und nachhaltig gesetzt werden. Eine Verdopplung des Gewinns in ein paar Jahren ist das sicher nicht. Zudem müssen wir bei der Unternehmensführung ansetzen: Sie muss glaubhaft für integres Verhalten stehen. Mitarbeiter haben dafür eine sehr feine Antenne. Und das integre Verhalten muss sich dann durch die Unternehmenshierarchien durchziehen. Denn als Mitarbeiter orientiere ich mich vor allem an meinen direkten Vorgesetzten. Und es braucht im Unternehmen insgesamt eine offene Diskussion darüber, was ethisches Verhalten ist.

„Ethisches Verhalten“ klingt sehr abstrakt …

Grüninger: Ja, das klingt so überhöht, metaphysisch oder gar religiös. Unternehmen müssen sich aber nicht an „Jesus light“ orientieren. Ihr Ziel bleibt es, wirtschaftlich erfolgreich zu sein und dafür müssen sie eigene Interessen durchzusetzen. Dennoch braucht es eine Unternehmensethik. Man muss sich schon darauf verständigen, wie man im Unternehmen handeln will und dafür Regeln definieren. Ethik bedeutet allerdings, dass diese Regeln begründet werden. Das macht den Unterschied.

Es gibt von Mitarbeiterseite auch Kritik an dem Projekt bei der Telekom. Überrascht Sie das?

Grüninger: Nein, so ein Projekt gibt es nicht ohne Kritik. Die Diskussion muss das Unternehmen aushalten. Ein Unternehmen hat ja nicht nur eine Kultur, sondern diverse Subkulturen. Und wenn im Shop in Kroatien ein schlechter Teamleiter arbeitet, wird der betroffene Mitarbeiter die Gelegenheit zum Widerspruch nutzen, wenn das Unternehmen eine moralische Diskussion startet. Schließlich passt das nicht zu dem, was er tagtäglich erlebt. Es braucht allerdings ein realistisches Bild davon, was mit so einem Projekt erreicht werden kann. Sicher nicht das Paradies auf Erden. Aber es wird ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer besseren Kultur gemacht - und das Unternehmen damit vor größerem Schaden bewahrt.

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