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Konzern

Ohne Netz und doppelten Boden

Vertrauen wird in der Arbeitswelt oft vehement eingefordert. Aber viele tun sich schwer damit. Denn Vertrauen macht verwundbar. Doch die Angst davor ist ein großer Fehler. 

„Wir sagen Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“ Am 5. Oktober 2008 trat die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Finanzminister Peer Steinbrück im Kanzleramt vor die Presse und gab eine Komplettgarantie für deutsche Spareinlagen ab. Nach dem Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 fürchteten auch deutsche Anleger um die Sicherheit ihrer Guthaben. Viele Menschen wollten daraufhin große Summen abheben. 100- und 200-Euro-Scheine würden schon knapp, berichtete die Bundesbank. Es drohe der sogenannte „Bank Run“.  Die historische Erklärung zeigte Wirkung: Die Menschen vertrauten und ein kompletter Zusammenbruch des Bankenwesens konnte abgewendet werden.

Was Vertrauen bedeutet und warum es so wichtig ist.

Was Vertrauen bedeutet und warum es so wichtig ist. © Telekom Picture World

Wenig Vertrauen in Manager

Laut einer aktuellen Umfrage (Jahreswende 2021/2022) des Meinungsforschungsinstituts FORSA im Auftrag des Fernsehsenders RTL genießen vor allem Polizei, Ärzte (jeweils 80 Prozent) und Universitäten hohes Vertrauen (77 Prozent). Wenig Vertrauen haben die Menschen hingegen in Manager (8 Prozent) und Webeagenturen (3 Prozent). Wobei den eigenen Arbeitgebern sehr viel Vertrauen entgegengebracht wird (68 Prozent).

Vertrauen brauchen wir, weil es nicht vorhandenes Wissen ersetzt. Was wir nicht selbst überprüfen können, etwa Flugzeuge oder Züge, lässt sich nur nutzen, wenn wir darauf vertrauen, dass es funktioniert, weil andere dafür gesorgt haben. Vertrauen zu entwickeln und zu geben ist eine wichtige Kompetenz für das menschliche Zusammenleben. 

Anfällig für Vorurteile

Ein kurzer Blick auf den Fremden mir gegenüber und schon schätzt unser Gehirn ein, ob wir der Person vertrauen können oder nicht.  Wissenschaftler des California Instituts of Technology haben es getestet: Unser Gehirn entwickelt also zu einem bestimmten optischen Reiz einen genau definierten sozialen Wert, eine Art Faustregel: Wer so aussieht wie ein Freund von mir, der hat bei mir bessere Chancen. Und wer so aussieht wie jemand, der versucht hat mich übers Ohr zu hauen, hat keine Chance bei mir. Dieses Phänomen hat Vorteile. Denn unser Gehirn, so der Neurobiologe Henning Beck, arbeitet auf diese Weise besonders energiesparend und findet sich schnell zurecht. Das Risiko: Wir sind damit anfälliger für Vorurteile.

Urvertrauen von Geburt an

Doch warum fällt es manchen Menschen leichter, Vertrauen aufzubauen, als anderen? Eine Antwort liefert der Schweizer Shaolin-Mönch Shi Xing Mi: „Jeder von uns trägt zwei Wölfe in sich. Der eine heißt Vertrauen, der andere Misstrauen.“ Jeden Tag würden beide miteinander kämpfen, mal setze sich der eine durch, mal der andere. Doch am Ende gewinne der Wolf, den man füttere.

Vertrauen als Gefühl kennen wir alle in Form eines ursprünglichen, von Geburt an vorhandenen Urvertrauens. Es ist die Basis tiefer zwischenmenschlicher Beziehungen und ruft ein Gefühl wach, das ein Leben lang bleibt. Vor allem resiliente Menschen hatten in der Kindheit mindestens eine starke Vertrauensperson, so das Ergebnis einer Studie der amerikanischen Entwicklungspsychologin Emmy Werner. Resiliente Menschen erkennen die eigenen Bedürfnisse, sind selbstbewusst, können Verantwortung übernehmen und Ziele verfolgen, die sie als sinnvoll bewerten.

Vertrauen als Sofortkredit

Das traditionelle Vertrauensverständnis basiert also auf der Kenntnis des anderen, auf gewachsenen Beziehungen und festen Strukturen. Dieses Verständnis genügt den heutigen Marktanforderungen und der Lebensrealität nicht mehr, meint der Managementberater und Buchautor Reinhard K. Sprenger. Vertrauen, das erst lang erarbeitet, getestet und verdient werden müsse, sei nicht mehr zeitgemäß. Die Digitalisierung und ein neues Verständnis von Arbeit verändern unser Leben. Alles wird schneller, komplexer und volatiler. Vertrauen wird immer mehr als „Sofortkredit“ eingefordert. 

Vertrauen reduziert Komplexität

Mit der Aufforderung „Vertrauen Sie mir!“ funktioniert das allerdings nicht, postuliert Sprenger. Vertrauen kann man nicht befehlen. Es wird gegeben. Wer um Vertrauen wirbt, muss es erst selbst geben und den Mut haben, sich dadurch verwundbar zu machen. 

Zwar habe der Mensch in vielen Situationen die Wahl, ob er Vertrauen schenken will oder nicht, schreibt der Systemtheoretiker Niklas Luhmann. Ohne jegliches Vertrauen aber könnte er morgens nicht einmal sein Bett verlassen. Vertrauen reduziert Komplexität. Permanentes Misstrauen kostet Kraft und Zeit. Und ist damit wenig effizient. Und das sollte selbst hartgesottene Misstrauens-Kultivatoren zum Umdenken bringen. In Umkehrung der dem russischen Revolutionär Lenin zugeschriebene Redewendung muss es eigentlich heißen: „Kontrolle ist gut. Vertrauen ist besser.“

Brandgefährlich: Verstecktes Misstrauen

Vertrauen braucht Offenheit. Das klingt nach Binsenweisheit. Aber Hand aufs Herz: Wer hat in Meetings dem Team nicht schon einmal wichtige Informationen vorenthalten, weil er Angst vor der Weitergabe hatte? Oder davor, dass sich jemand mit fremden Federn schmückt? Und wer hat sich nicht schon einmal mit einer kritischen Bewertung zurückgehalten, um den „Betriebsfrieden“ im Team nicht zu stören? Verstecktes Misstrauen. Keiner redet darüber. Das ist brandgefährlich für Organisationen. Viele Veränderungsprozesse, Fusionen oder Prozessoptimierungen sind an mangelndem Vertrauen gescheitert, nicht mangels Knowhows. Festhalten ist Stabilität, Loslassen ist Stress. 

Motor für schnelle Entscheidungen

Dabei ist eine Kultur des Vertrauens gerade für Unternehmen wichtiger denn je. Simon Sinek, Autor von "Das unendliche Spiel", sagt: „Ohne Teams, die einander vertrauen, werden die Probleme in einem Unternehmen vertuscht oder ignoriert.“ Unternehmen und Managementverhalten müssen sich permanent wirtschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen. Schnelles und effizientes Handeln passt nicht zu Führungskulturen, die auf umfangreichen Regelwerken basieren, die auf unbedingte Kontrolle setzen.  

Nicht mehr oder schneller arbeiten ist die Lösung, sondern ein Mehr an Vertrauen, das der Motor für schnellere Entscheidungen und Handlungen ist, mahnt Berater Sprenger. Und empfiehlt Vertrauen als Steuerungsmechanismus für Unternehmen. Jessica Lang, Professorin für Betriebliche Gesundheitspsychologie an der Uniklinik Aachen, ging in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sogar noch weiter: „Wäre ich Firmenchefin, würde ich Vertrauen als festen Bestandteil in meine Unternehmensstrategie einbauen.“ 

Dienende Führung

Vertrauen ist die Basis von guter, solider und nachhaltiger Führung. Tragfähige Führungsbeziehungen sind vor allem von gegenseitigem Vertrauen geprägt. Viel wird derzeit von „Servant Leadership", also der dienenden Führung, geredet. Dabei geht es zunächst einmal um eine verstehende und zuhörende Haltung – unabhängig von Hierarchie und Inselwissen. Das ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Mitarbeiterführung. Vor allem beim Führen von agilen Teams. Dort ist ein ausgeprägtes Vertrauensniveau das Schlüsselkriterium für den gemeinsamen Erfolg.

Wissenschaftliche Studien, mit welchen Maßnahmen man Vertrauen im Unternehmen herstellen kann, findet man kaum. Es gibt keine Blaupause für den Aufbau einer Vertrauenskultur. Jedes Unternehmen muss mit seinen Erfahrungen seinen geeigneten Weg finden. 

Unsere Arbeitswelt nach der Pandemie eine andere sein. Nun geht es darum, sie erfolgreich zu gestalten.

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