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Brauchen wir das Darknet?

In den Medien genießt das Darknet einen praktisch durchgehend schlechten Ruf. Fast keine Woche vergeht mehr ohne neue Meldungen über zur Strecke gebrachte Kriminelle, die das Darknet als Rückzugsraum, als Umschlagplatz oder als Basis für ihre Verbrechen genutzt haben. In ihm können sie sich weitgehend anonym bewegen, mit Waffen, Drogen und Diebesgütern handeln. Bis hin zu Auftragsmorden kann über entsprechende Online-Marktplätze so gut wie alles bezogen werden. Dabei ist und kann die Technologie weit mehr. Kriminelle machen nur einen Teil ihrer Nutzer aus. Das Darknet ist nicht per se schlecht. Die Gesellschaft muss es nur verstehen und richtig zu nutzen lernen, bevor es vorverurteilt wird. Ein Plädoyer für einen differenzierten Blick.

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Anfang August sorgte wieder einmal das Darknet für Schlagzeilen. Eine Bande hatte ein britisches Model entführt, um es für mehrere hunderttausend Euro im Darknet an den Meistbietenden zu verkaufen.  Die Medien berichteten ausführlich über den Fall. Wenige Wochen zuvor war ebenso ausführlich über die Aushebung der Darknet-Webseiten AlphaBay und Hansa berichtet worden. Staatliche Ermittlungsbehörden hatten sie geschlossen und deren Administratoren verhaftet. Auf AlphaBay waren gestohlene Kreditkartennummern, gefälschte Ausweispapiere, Falschgeld, Drogen und Waffen gehandelt worden. Mehr als 200.000 Kunden hatten hier regelmäßig illegale Produkte bezogen. Auf Hansa waren neben Drogen vor allem Juwelen und gefälschten Waren vertrieben worden. Tatsächlich stellt auch der Bericht Cybercrime Bundeslagebild 2015 des Bundeskriminalamts eine "zunehmende Verlagerung von Delikten aus der analogen in die digitale Welt" fest.  Doch was ist das Darknet und warum wird es immer nur mit Kriminalität in Verbindung gebracht?

Was ist das Darknet?

Das Darknet ist Teil des regulären Internets, aber unsichtbar für alle, die mit Standard-Browsern surfen. Fachleute unterscheiden zwischen dem Surface Web (dem von Suchmaschinen indizierten Web) und dem Deep Web, in dem auch das Darknet existiert. Verbraucher müssen, wenn sie ins Darknet wollen, Datenpakete verschlüsselt über die Rechner anderer Nutzer über ein Peer-to-Peer-Netzwerk leiten und diese erst danach ins Internet senden. Die Vernetzung erfolgt über gekapselte Software wie Tor, I2P, Freenet, GNUnet oder RetroShare. Außenstehenden wird es so praktisch unmöglich gemacht, die Herkunft der Datenpakete und damit den eigentlichen Nutzer einer Webseite im Internet zu identifizieren. Außerdem ermöglicht das Darknet das Verstecken von Webadressen und Webseiten sowie das Verbergen von Serverstandorten. Die Seiten werden dazu auf Webservern innerhalb des Netzwerkes abgelegt. Die Adressen der Server sind dann so verschlüsselt, dass nur Verbindungsknoten des Netzwerks sie dekodieren können. Klickt jemand einen verschlüsselten Link an, wird die Anfrage über mehrere teilnehmende Rechner geschickt und am Ende an einen Verbindungsknoten geleitet, der die echte Adresse des betreffenden Webservers kennt. Der Knotenpunkt fordert die Daten vom Server an und leitet sie an den Benutzer weiter. Mit konventionellen Methoden lässt sich der Standort des Servers der betreffenden Webseiten dann nicht mehr lokalisieren. Er bleibt vor physischen Eingriffen geschützt.

Mehr als nur ein sicherer Hafen für Kriminelle

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich rasch, dass das Darknet weit weniger von Kriminellen bevölkert wird, als gemeinhin angenommen. Das ist auch keine Überraschung, wurde es doch von Sicherheits- und IT-Experten entwickelt, um die eigene Privatsphäre zu schützen, andere Teile des Netzes zu erforschen und sicher und vor allem unabhängig von Providern miteinander zu kommunizieren. Verbrecher nutzen es zwar, doch betreiben sie ihre Geschäfte eher an anderen Orten. So wird beispielsweise nur ein verschwindend geringer Teil des europäischen Drogen- und Waffenhandels über dessen Netzwerke abgewickelt. Der Entwickler und Mitbegründer des Anonymisierungsdienstes Tor , Roger Dingledine, legte hierzu im Juli dieses Jahres auf der Hacker-Konferenz Def Con in Las Vegas in seiner Präsentation The Tor project  erstmals Zahlen vor. Tor werde jeden Tag von rund zwei Millionen Menschen aktiviert. Die übergroße Mehrheit nutze das Proxy-Netzwerk, um anonym auf bekannten Webseiten zu surfen. Sie wolle sich lediglich staatlichen Zensur- und Überwachungsmaßnahmen entziehen. Nur ein bis drei Prozent der Nutzer würden tatsächlich im 'Onion-Netzwerk', dem eigentlichen Darknet mit seinen gut versteckten Webseiten, surfen. Doch auch dort gebe es längst nicht nur zwielichtige Seiten. Die am stärksten frequentierte Seite sei beispielsweise die Onion-Version von Facebook. Rund 1 Million Netzwerknutzer würden sie regelmäßig anwählen. In weiten Teilen der Erde, in Ländern wie China, dem Iran oder auch einigen afrikanischen Staaten, sei Facebook nur auf diesem Wege zu erreichen. Auch Kriminelle würden Tor für ihre Zwecke einsetzen. Doch müsse ihre geringe Zahl gegen die Millionen redlicher Nutzer gestellt werden, denen erst Tor die Freiheiten des Internet eröffne. 

Verbessern statt verbieten

Die Öffentlichkeit sollte eine solche Technologie nicht pauschal verteufeln, es ist schlicht falsch dem 'guten' Internet einfach das 'schlechte' Darknet gegenüberzustellen. Die Bedeutung einer Verschlüsselung in mehreren Schichten, die Möglichkeit, „im Verborgenen“ über das Internet zu kommunizieren, kann kaum überschätzt werden. Vielen Menschen, die unter Beobachtung stehen oder verfolgt werden, dient sie als letzter Ausweg, sich Gehör zu verschaffen, sich auszutauschen, sich zu organisieren. Whistleblower können sich über das Darknet mit Journalisten austauschen ohne sich der Gefahr einer Verfolgung auszusetzen. Journalisten und Blogger können durch das Darknet anonym recherchieren und Nachrichten weitergeben. Bürger eines Landes, die unter einem Regime mit strenger Internetregulierung leben, können dank Darknet die Zensur umgehen und mit der Außenwelt kommunizieren, Dissidenten sich ungestört politisch engagieren und miteinander interagieren. Natürlich gibt es auch Kriminelle, die diese Technologie missbrauchen, aber das Darknet ist auch ein freier Raum für viele andere Dinge, die der Demokratie förderlich sind.

Fazit

Die Vorverurteilung muss aufhören, das Darknet muss endlich als eine wertfreie, technische Kommunikationsplattform verstanden werden. Mit der fortschreitenden Digitalisierung ist mit einer Zunahme der „Hinterzimmer“ und „dunklen Hauseingänge“ im Internet zu rechnen. Verbote sind der falsche Weg und werden nur dazu führen, dass andere Ebenen des Deep Web missbraucht werden. Stattdessen gilt es zu prüfen und abzuwägen, welche Ermittlungs- und Überwachungsmaßnahmen sinnvoll sind, um Verbrechen aufzuklären oder zu verhindern. Diese müssen an die neue Technik angepasst werden. Nicht „Sicherheit oder Freiheit“, sondern „Freiheit mit Sicherheit“ gilt und sollte im Rahmen einer breiten Öffentlichkeit endlich einmal sachlich diskutiert werden.

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