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Konzern

„Es gibt immer Bedarf an empathischen Leuten“

Servicemitarbeiter sind auch künftig gefragt, sagt Jochen Wirtz, Marketing-Professor an der National University of Singapore. Doch sie müssen sich auf veränderte Kundenbedürfnisse einstellen. Ein Interview über Kundenservice in Zeiten fortschreitender Digitalisierung.

Jochen Wirtz, Marketing-Professor NUS

Jochen Wirtz forscht an der National University of Singapore über Service-Marketing und -Management.

Sie wohnen seit 32 Jahren nicht mehr in Deutschland. Erleben Sie bei Ihren Heimaturlauben die vor Jahrzehnten zum geflügelten Wort gewordene „Servicewüste Deutschland“? 

Jochen Wirtz: Ich sehe das nicht so. Die Leute sind vielleicht generell nicht ganz so herzlich wie in anderen Ländern. Aber der Service ist in aller Regel sehr solide. Ich finde, dass die Servicemitarbeiter in Deutschland die Kunden viel eher auf Augenhöhe ansprechen. Das ist nach meinem Dafürhalten aktuell genau die richtige Herangehensweise.

Wenn Sie nach vorne schauen – wie wird sich die Kundenbetreuung in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung verändern?

Jochen Wirtz: Die Steigerung der Produktivität wird zu einem rapiden Anwachsen von Bedürfnissen und neuen Dienstleistungen führen, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können. Wir wissen heute noch nicht, was Roboter, autonome Fahrzeuge und all diese Technologien in fünf oder 15 Jahren bewerkstelligen werden. Technologien wie Künstliche Intelligenz, Roboter, Biometrie, Sensoren und Prozessoren werden immer billiger, zudem werden in Zukunft vermehrt autonome Fahrzeuge eingesetzt – all das wird den Kundenservice komplett verändern.

Sind Kunden schon bereit, sich auf die neuen Technologien einzulassen?

Jochen Wirtz: Am Ende ist für den Kunden das Ergebnis entscheidend. Ihn interessiert vor allem, ob sein Anliegen schnell gelöst wird, weniger der Prozess oder die Art der Interaktion zwischen Kunde und Kundendienst. Mit Chatbots oder Self-Service-Portalen etwa können einfache Problemstellungen oder Routineaufgaben mitunter schon besser und schneller gelöst werden als mit einem Anruf oder dem Durchforsten einer Website. Aus Kundensicht sollten Produkte, Systeme, Prozesse und Richtlinien idealerweise so weit verbessert werden, dass alles so intuitiv und einfach ist, dass gar keine Kontaktaufnahme mit dem Anbieter mehr nötig ist.

Wissenswertes60 Prozent der Nutzer von Kundendiensten haben Erfahrungen mit interaktiver Sprachausgabe gemacht
28 Prozent nehmen über Social-Media-Kanäle Kontakt zu Unternehmen auf
82 Prozent der Konsumenten haben mit dem Mitarbeiter eines Service-Centers gesprochen
Quelle: BCG-Nice Consumer Survey 2016

Der Kunde soll also keinen Grund mehr haben, sich zu beschweren?

Jochen Wirtz: Genau. Schon aus eigenem Interesse der Unternehmen. Die sollten bestenfalls dafür sorgen, dass Probleme gar nicht erst auftreten, um so den Bedarf an Customer Service zu senken. Denn individuell geleisteter Service ist sehr teuer – und er muss heute in Echtzeit stattfinden. In der Regel kommt es zu Warteschlangen, und der Kunde kann den Dienst nur zu bestimmten Zeiten abfragen. Das alles ist unpraktisch.

Welche Dienstleistungen rechnen sich denn für die Unternehmen? 

Jochen Wirtz: Vor allem Dinge, die den Kunden enger ans Unternehmen binden. Das kann schon der Verkauf von Zusatzprodukten oder eines höherwertigen Produkts beziehungsweise Dienstes sein.

Aber es wird doch weiterhin Kunden geben, die in bestimmten Situationen lieber mit Menschen zu tun haben wollen als mit einem Computer?

Jochen Wirtz: Natürlich. Mein Telekom-Anbieter beispielsweise hat mich kürzlich angeschrieben, weil die Festnetzleitung in meinem Haus durch ein Glasfaserkabel ersetzt wird. Dafür müssen Wände aufgestemmt werden, die Sache ist also etwas knifflig. In diesem Fall schätze ich es, dass Fachleute sich anschauen, wie ich WLAN, Kabel und all das gebündelt bekommen kann, ohne dass mein Haus Schaden nimmt. Wer Urlaub in einem Badeort macht, ein Musical besucht oder ein Candlelight-Dinner in einem schönen Restaurant bucht, will auch guten Kundendienst. Das wird weiterhin so bleiben. In diesen Situationen zählt das Erlebnis, nicht nur das Ergebnis. Aber noch mal: In den meisten Fällen ist das Ergebnis das Ziel, nicht der Prozess. Unternehmen sollten sich heute so weit wie möglich darauf konzentrieren, bessere Produkte, Dienstleistungen, Richtlinien und Prozesse zu konzipieren, denn damit ist der Kontakt zwischen Kunde und Kundendienst im Kontext von ‚Beschwerde‘ idealerweise gar nicht mehr nötig.

Wird der Einsatz neuer Technologien im Kundendienst Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt nach sich ziehen?

Jochen Wirtz: Kundendienstmitarbeiter werden immer gebraucht werden. Nur wird sich ihre Tätigkeit ändern. In Asien, wo beispielsweise in der Finanzdienstleistungsbranche die Automatisierung schon weit fortgeschritten ist und Technologien wie Chatbots und Künstliche Intelligenz großflächig eingesetzt werden, schulen die Unternehmen ihre Kundendienstmitarbeiter bereits auf andere Jobs um. Wer ausgeprägte zwischenmenschliche Fähigkeiten mitbringt, hat weiterhin gute berufliche Perspektiven. Es gibt immer einen großen Bedarf an empathischen Leuten, die die Sicht der Kunden einbeziehen und entsprechend handeln. 


Zur PersonJochen Wirtz forscht über Service-Marketing und -Management. Der gebürtige Deutsche studierte Services Marketing an der London Business School und war als Unternehmensberater für Firmen wie Accenture, Arthur D. Little und KPMG tätig. Seit 1992 ist er Marketing-Professor an der National University of Singapore (NUS), außerdem Fellow am Service Research Center an der Karlstad Universitet in Schweden, akademischer Wissenschaftler am Cornell Institute for Healthy Futures (CIHF) an der Cornell University in Ithaca (New York) und Global Faculty am Center for Services Leadership (CSL) an der Arizona State University (USA). 

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