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René Bresgen

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Raus aus der Schockstarre - so gelingt’s!

Wenn Menschen im Netz beleidigt, verletzt oder bedroht werden, ist Eingreifen gefordert. Welche psychologischen Prozesse entscheiden darüber, ob wir aktiv werden oder wegschauen? Wie gelingt es, die Schockstarre zu überwinden? Und was steckt hinter digitaler Zivilcourage? 

Gemeinsam gegen Hass im Netz.

Gemeinsam gegen Hass im Netz. © Diva Plavalaguna Pexels

Einen Freund verteidigen, der wegen seiner Herkunft im Chat angegangen wird, ein Bild als Fake entlarven, eine App programmieren, um Hasskommentare schneller zu melden – all das sind Beispiele für digitale Zivilcourage. Definiert werden kann sie als mutige, öffentliche Handlung in der digitalen Welt, mit dem Ziel, demokratische Grundwerte oder Menschenrechte zu verteidigen. Auch wenn sie möglicherweise negative Folgen für die handelnde Person mit sich bringen könnte. 

Doch nur wenige Menschen trauen sich, öffentlich Stellung zu beziehen, aus Angst vor möglichen Risiken für sich selbst. Sie schauen weg und schweigen. Dabei sind meist gar keine Heldentaten gefragt, sondern nur ein mutiges Eintreten für Toleranz, Akzeptanz oder mehr Gerechtigkeit. Jeder Kommentar gegen Hass, Hetze und Ausgrenzung stärkt nicht nur die Betroffenen, sondern sendet auch ein Signal an die schweigende Mitleserschaft und zeigt: Wir müssen etwas tun, dieses Verhalten dürfen wir nicht tolerieren. Trotzdem geben in der Hate-Speech Forsa Studie 2023 nur 25% der Befragten an, auf einen Hasskommentar geantwortet zu haben, um diesen zu kritisieren. Wie schaffen wir es also, die Schockstarre zu überwinden und aktiv gegen Hassrede im Netz einzutreten?

Digitale Zivilcourage – eine Charakterfrage?

„Ob Zivilcourage gezeigt wird oder nicht, hängt sowohl von situativen Faktoren, z.B. wie riskant das Eingreifen ist, als auch von Persönlichkeitsmerkmalen ab. Wir nehmen an, dass ein relevantes Persönlichkeitsmerkmal die Sensibilität für Ungerechtigkeit ist”, sagt Julia Sasse, Sozialpsychologin an der Technischen Universität München, im Beitrag über die Psychologie digitaler Zivilcourage. Je sensibler eine Person ist, desto wahrscheinlicher sei es, dass sie bei Hass im Netz aktiv wird.

Anderen wiederum fällt es schwer, den Mut aufzubringen, um Hatern die Stirn zu bieten. Im Netz ist es wie im realen Leben: Wenn in einer Gefahrensituation alle nur zuschauen und darauf vertrauen, dass schon jemand anderes eingreifen wird, hilft am Ende niemand. Es ist also wichtig, den ersten Schritt zu machen. Dieser animiert dann weitere Personen zu helfen, eine Gruppendynamik entsteht. 

Für die Expertin Julia Sasse lassen sich die psychologischen Prozesse zur Zivilcourage auch auf den digitalen Kontext anwenden: Zunächst werde ein Normverstoß erkannt und als solcher interpretiert. Dann muss sich die beobachtende Person verantwortlich fühlen, einzugreifen, und annehmen, dafür die notwendigen Fähigkeiten zu besitzen. Schließlich werden Risiken und Nutzen gegeneinander abgewogen.  

Das kann Jede*r tun

Digitale Zivilcourage gelingt uns also leichter, wenn wir wissen, was wir konkret tun können. In unserer Videoreihe „Netzgeschichten” geben wir fünf Tipps für digitale Zivilcourage:

  1. Hinschauen, Haltung zeigen und aktiv werden
    Wer Beleidigungen, Anfeindungen oder Drohungen im Internet beobachtet, sollte nicht abwarten, bis jemand anderes eingreift. Werdet selbst aktiv! Auch wenn ihr die betroffene Person nicht kennt: Hass im Netz geht jeden etwas an. Fordert Zivilcourage auch von Mitlesenden oder dem Moderationsteam ein. 
  2. Counterspeech und Respektvolle Kommunikation
    Counter Speech, also Gegenrede, meint die sprachliche Reaktion auf Hass im Netz. Das Ziel hierbei ist nicht primär, die Hater von einer anderen Position zu überzeugen. Es geht vor allem darum, Präsenz zu zeigen und ihnen klar zu machen, dass sie ihren Hass nicht ungestört verbreiten können. Für die stillen Mitlesende ist Counterspeech ein wichtiges Signal, ebenfalls aktiv zu werden. 
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  3. Respektvolle und positive Sprache
    Es ist erwiesen: Empathische Gegenrede wirkt deeskalierend. Achtet auf eine respektvolle und positive Sprache, um den Konflikt nicht zu verschärfen. Hass sollte niemals mit Hass bekämpft werden. Atmet durch, bevor ihr reagiert und bleibt sachlich. Zeigt den Hatern, dass ihr euch nicht provozieren lasst. Beispiele für konstruktive Kommunikation im Netz gibt unsere Partner HateAid auf ihrer Website.
  4. Hasskommentare melden und Gesetze beachten
    Hatespeech ist keine legitime Meinungsäußerung, weder offline noch online. Auch im digitalen Raum gibt es Gesetze. Die meisten Plattformen bieten die Möglichkeit, Hasskommentare zu melden und löschen zu lassen. Wenn das nicht ausreicht, kann man sich an die Meldestelle REspect! wenden, die beim Netzwerkbetreiber die Löschung des Kommentars beantragt. In schweren Fällen kann es sinnvoll sein, Anzeige bei der Polizei zu erstatten, zum Beispiel bei der Zentralstelle Anonyme Cyberkriminalität (ZAC NRW). Wie die ZAC NRW gegen Hass im Netz vorgeht, könnt ihr in diesem Beitrag nachlesen.
  5. Solidarität zeigen und Unterstützung anbieten
    Für die Opfer von Hass im Netz kann es genauso schmerzhaft sein, allein gelassen zu werden, wie die Kommentare zu erhalten. Deshalb ist es wichtig, Solidarität zu zeigen und Unterstützung anzubieten. Schaltet Hilfsstellen wie Juuuport e.V. ein, um den Betroffenen zur Seite zu stehen. Helft ihnen, mit den emotionalen Folgen des Hasses umzugehen. Bei strafbaren Aussagen wendet euch gemeinsam an juristische Beratungsstellen wie hatefree

“Mini-Workshops to go” – Lerne wie Digitale Zivilcourage geht

Unser Partner Ichbinhier erklärt in Workshops mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten, wie du dich empathisch und respektvoll für andere in den sozialen Medien stark machst, ohne selbst zur Zielscheibe zu werden. In einer kurzen Praxisübung kannst du das Gelernte direkt anwenden. Die Workshops enthalten die Essenz aus sechs Jahren Erfahrungen ihrer Aktionsgruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, hinzusehen und aktiv zu handeln, wenn Hass in sozialen Medien Menschen bedroht. Digitale Zivilcourage kann man lernen. Die Teilnahme am Workshop ist kostenlos.

28.09.2023; 12:00-13:30 Uhr: 
Digitale Zivilcourage bei Hass gegen weiblich gelesene Personen: Bodyshaming, Ageism, Cyberstalking, Doxing, sexuelle Belästigungen. Anmeldung hier.

04.10.2023; 12:00-13:30 Uhr: 
Becoming a digital activist/digitale Zivilcourage to go – Ein ichbinhier-Workshop für die Mittagspause. Anmeldung hier.

06.11.2023; 12:00-13:30 Uhr: 
Digitale Zivilcourage bei Hass gegen Klimaschützende to go – Ein ichbinhier-Workshop für die Mittagspause. Anmeldung hier.

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