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Sea Hero Quest: Erfolgreiche Kampagne zur Demenzforschung geht weiter

Die Zahlen der Demenzerkrankungen steigen weltweit. Jedoch sind die Ursachen bislang wenig erforscht und die Therapiemöglichkeiten begrenzt. Mit der Initiative „Game for Good“ und der Spiele-App „Sea Hero Quest“ beschreitet die Telekom gemeinsamen mit Forschern und Spiele-Entwicklern neue Wege, um im ersten Schritt die Grundlagenforschung zum Orientierungsverhalten von Menschen weltweit zu ermöglichen.

AOK unterstützt Telekom-Initiative „Spielen gegen das Vergessen“

Von links nach rechts: Axel Wehmeier (Leiter Telekom Healthcare Solutions), Prof. Michael Hornberger (University of East Anglia) und Martin Litsch (Vorstandsvorsitzender Bundesverband AOK) stellen dem Fachpublikum die Initiative, ihre Ziele und erste Ergebnisse vor. Quelle: AOK © Quelle: AOK

Der AOK-Bundesverband hat sich dem Ziel der Kampagne angeschlossen und machte Sea Hero Quest zu einem Schwerpunktthema seines Messeauftritts auf dem Deutschen Pflegetag 2017 in Berlin. Prof. Michael Hornberger (Demenzforscher an der University of East Anglia in Groß-Britannien), Martin Litsch (Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der AOK) und Axel Wehmeier stellten dem Fachpublikum die Initiative, ihre Ziele und die ersten Ergebnisse vor. Zu diesem Anlass entstand das Interview mit den Beteiligten.

Werden Demenzerkrankungen in der Öffentlichkeit im allgemeinen zu wenig wahrgenommen?

Martin Litsch: Mittlerweile nicht mehr. Mit den letzten Pflegereformen und durch die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs werden Demenzerkrankte besser berücksichtigt und rücken damit auch stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Und durch prominente Betroffene wie den ehemaligen Schalke-Manager Rudi Assauer wurde die Diskussion und der offenere, bewusste Umgang mit der Erkrankung auch forciert. Ein schönes Beispiel war auch der Kino-Hit „Honig im Kopf“. Hier hat man die Menschen auf eine unterhaltsame Art abgeholt. Aufmerksamkeit bekommt das Thema also schon viel. Es geht vermutlich mehr darum, Menschen die Angst zu nehmen, darüber zu sprechen und sich frühzeitig damit zu beschäftigen. Daran müssen wir weiter arbeiten, denn mit rund 1,6 Millionen Betroffenen ist Demenz eine Volkserkrankung und darf kein Tabuthema mehr sein.

Haben Sie vor diesem Hintergrund mit einer so hohen Beteiligung gerechnet?

Axel Wehmeier: Ja und Nein. Die von Herrn Litsch genannten Zahlen machen deutlich, dass so gut wie jeder jemanden kennt, der von Demenz betroffen ist. Auch deshalb hatten wir auf eine hohe Beteiligung gehofft, zumal sich das Spiel gut anfühlte. 100.000 Downloads innerhalb von sechs Monaten war unser Ziel – das haben wir innerhalb von 24 Stunden nach dem Launch erreicht! Dass bis heute 2,8 Mio Menschen in 193 Ländern zugunsten der Demenzforschung mitspielen würden, hat unsere kühnsten Erwartungen übertroffen und freut uns natürlich sehr. Mit dieser Datenflut geben wir der Wissenschaft dringend benötigte Rohstoffe für Spitzenforschung.

Wie ist der aktuelle Stand der Auswertungen der Spielerdaten? Wurden Sie von der Datenflut überrollt?

Prof. Michael Hornberger: Nein. Als Forscher sind wir total glücklich über diese  Datenmenge. Da wir ja im ersten Schritt mit den Spielerdaten die Grundlagenforschung voranbringen wollen, erhalten wir bessere und genauere Ergebnisse, je mehr Menschen uns Informationen zu ihrem Orientierungsverhalten zur Verfügung stellen. Da so viele Daten aus der ganzen Welt vorliegen, können wir die Daten nach regionalen und sogar kulturellen Unterschieden auswerten. Bislang haben alle Spieler zusammen über 75 Jahre Sea Hero Quest gespielt. Das entspricht mehr als 11.000 Jahren Forschung unter herkömmlichen Laborbedingungen. Zum Vergleich: an der bis dato größten Studie zum räumlichen Orientierungsverhalten hatten knapp 600 Personen teilgenommen.

Inwiefern haben die ersten Auswertungen der Spielerdaten einen neuen Blick auf die Demenzerkrankung ermöglicht?

Prof. Michael Hornberger: Neu ist für uns die Erkenntnis, dass eine graduelle Verschlechterung des räumlichen Orientierungsvermögens bereits im jungen Erwachsenenalter beginnt. Deshalb ist es von enormer Bedeutung, dass wir mehr über die räumlichen Navigations­fähigkeiten des Gehirns herausfinden und so verstehen, was genau sich bei beginnender Demenz verschlechtert. Die nächste Frage, die wir jetzt untersuchen ist, ob die Probleme mit dem Orientierungssinn bereits vor Problemen des Erinnerungsvermögen im aller ersten Demenzstadium auftreten. Die Ergebnisse der Datenanalyse bieten ein enormes Potential für dringend notwendige Entwicklungen in der Demenzforschung. Insbesondere die frühzeitige Diagnose, noch bevor bei Patienten Gedächtnisprobleme auftreten, wäre ein Meilenstein. Die Studie wird uns dabei helfen, zukünftig die Lebensumstände von Millionen von demenzkranken Menschen entscheidend zu verbessern

Was war der Auslöser für die AOK die Kommunikation zu diesem neuartigen Forschungsprojekt zu unterstützen?

Martin Litsch: In 90 Prozent aller Fälle folgt aus einer Demenzerkrankung eine Pflegebedürftigkeit, und leider sind die Ursachen für eine Demenz immer noch unklar. Deshalb ist es sinnvoll, gerade solche Projekte in der Demenzforschung wie Sea Hero Quest zu unterstützen. Natürlich kann eine Analyse der Daten aus einem solchen Spiel keine kontrollierten Studien ersetzen, aber es ist eine geeignete Form Informationen zu sammeln, mit der man neue Zusammenhänge entdecken und auf neue Ideen kommen kann. Der Aufwand für die Nutzer ist dabei minimal, der Mehrwert für Wissenschaftler aber enorm. Denn mit dem mobilen Spiel lassen sich 150-mal schneller Daten sammeln als mit herkömmlichen Forschungsmethoden.  Anders gesagt heißt das: Wer allein zehn Minuten spielt, leistet damit umgerechnet einen Tag wichtige Arbeit in der Demenzforschung. Genau das wollen wir auch unseren 25 Millionen AOK-Versicherten vermitteln und hoffen, dass auch sie bereit sind, die Demenzforschung zu unterstützen.

Sehen Sie das Szenario einer App auch für andere medizinische Fragestellungen? Was wäre dafür die Voraussetzung?

Axel Wehmeier: Ja, es gibt schon heute viele medizinische Fragestellungen und Forschungsgebiete, in denen mit Hilfe von Big Data neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Was wir heute sehen – vor allem genombasiert in der Onkologie – ist aber erst der Anfang. Sea Hero Quest ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Forschung digital unterstützt neues Terrain auch jenseits der Genanalyse erschließen kann. Die Voraussetzung dafür ist, dass viele Menschen den unmittelbaren Nutzen datenbasierter Dienste erkennen und den zugrunde liegenden Sicherheitsmechanismen vertrauen. Beides ist unverzichtbar, um Lösungen auch für weitere Fragestellungen in Forschung und Wissenschaft mit Hilfe von Big Data zu finden. 

Wie kann es gelingen, Patienten/Versicherte für digitale Gesundheitsanwendungen, sei es zur Diagnose oder zur Therapie, zu gewinnen?

Martin Litsch: Das gelingt vor allem dann, wenn wir den Mehrwert von digitalen Gesundheitsanwendungen sowohl für Patienten als auch die Leistungserbringer herausstellen können. Es geht also darum, unseren Versicherten vom konkreten Nutzen im Hinblick auf ihre Gesundheit und eine bessere Versorgung zu überzeugen, aber auch Ärzten und Therapeuten klar zu machen, wie sie von solchen digitalen Angeboten profitieren und dadurch im täglichen Praxisalltag entlastet werden können. In diesem Bereich steckt noch viel Potenzial, das auch wir als AOK in Zukunft noch stärker fördern möchten.

Sie arbeiten international vernetzt. Sehen Sie hier Unterschiede in der internationalen Wahrnehmung, welche Chancen Big Data für das Gesundheitswesen bieten können?

Prof. Michael Hornberger: Ja, insgesamt sieht man schon Unterschiede in der Einstellung verschiedener Länder gegenüber Big Data. Vor allem die USA und England sind Big Data gegenüber viel offener eingestellt, während zum Beispiel Deutschland und Frankreich viel skeptischer sind, vor allem in Bezug auf den Datenschutz. Für uns als Forscher sind größere Datenmengen immer besser, da sie unsere Ergebnisse viel präziser machen. Das ist sehr wichtig für die zukünftige Gesundheitsforschung und Pflege, da wir durch diese Präzision einzelnen Patienten viel besser helfen können.

Welche Erwartung haben Sie vor diesem Hintergrund an die Entwicklung von digitalen Lösungen im Gesundheitswesen in Deutschland?

Axel Wehmeier: Auch im Gesundheitswesen werden wir eine andere Abwägung von Nutzen und Gefahren digitaler Gesundheitsservices sehen. Mit wachsenden Möglichkeiten, aber auch Vertrauen in die Datensicherheit rücken die Chancen aus Petienten- und Ärztesicht immer stärker in den Vordergrund.

Und wie geht die Geschichte von Sea Hero Quest weiter?

Prof. Michael Hornberger: Wir sind immer noch dabei, die Spielerdaten weiter auszuwerten. Das wird uns auch noch eine Weile beschäftigen. Parallel arbeiten wir aber daran, die  App weiterzuentwickeln, um sie auch in klinischen Studien und Tests mit Patienten nutzen zu können.

Axel Wehmeier: Die Bereitschaft der Spieler, uns ihre Daten anonym zur Verfügug zu stellen, und die ersten Ergebnisse zeigen, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben. Forschung funktioniert am effizientesten übergreifend und vernetzt. Deshalb unterstützen wir die Gemeinsame Initiative gegen Demenz weiterhin mit unserem Know-how zu digitalen Lösungen.

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