

„Intelligente Netze brauchen wir unbedingt“/ Video telegraphen_lunch
Die Energiewende ist wohl eine der bislang markantesten politischen Entscheidungen in diesem Jahrtausend. In der gesellschaftlichen Diskussion stehen vor allem die Neuordnung der Erzeugungskapazitäten sowie der Ausbau der Übertragungsnetze – und damit die Versorgerseite – im Mittelpunkt.
2011 betrug der Anteil der erneuerbaren Energien am Strom-Mix rund 20 Prozent. Nach der Abschaltung von acht Kernkraftwerken im Frühjahr 2011 haben sie damit die Kernenergie überholt. Das ist gut, doch trotz dieser Dynamik sind zentrale Fragen noch immer unbeantwortet. Die aus erneuerbarer Energie produzierte Strommenge ist schwierig kalkulierbar, da die Sonne nicht immer scheint. Darüber hinaus kann das Stromnetz keine Energie speichern, die Energieversorger müssen aber den zusätzlichen Strom abnehmen. Dies bringt das Stromnetz zunehmend aus dem Takt. Die sichere Versorgung mit Wind-, Wasser- und Sonnenenergie kann langfristig nur ein Stromnetz gewährleisten, das sich selbst steuert. Die Rede ist vom sogenannten "Smart Grid", das mit Hilfe von IT und Telekommunikation gemanagt wird. Und hier kommt dann die Kunden- beziehungsweise Nachfragerseite ins Spiel. Doch Großprojekte fallen vielfach gesellschaftlichem Protest oder bürokratischen Hürden zum Opfer. Die notwendige Flexibilisierung und dezentrale Steuerung von Kapazitäten und Netzen durch Smart Grids auf Verbraucherseite gerät zunehmend aus dem Fokus.
Vor diesem Hintergrund haben wir beim telegraphen_lunch in Berlin gefragt, ob Smart Grids und Dezentralität aktuell die vergessenen Kinder der Energiewende sind. Rede und Antwort standen Andreas Kuhlmann, Geschäftsbereichsleiter Strategie und Politik des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) und Dr. Christof Wittwer, Leiter der Abteilung dezentrale, netzgekoppelte Energiesysteme des Fraunhofer Institutes für Solare Energiesysteme. Genau nachgefragt hat neben dem Publikum diesmal wieder Volker Wieprecht, radioeins.
Vergessene Kinder sind Smart Grid und Dezentralität sicher nicht. Auch wird nicht ihr Potential unterschätzt, das sie zur Umsetzung der Energiewende beitragen können. Doch „das Thema ist insgesamt sehr komplex“, meinte Andreas Kuhlmann. „Intelligente Netze brauchen wir unbedingt, sonst bekommen wir das mit der Energiewende nicht hin“, so Kuhlmann. Doch dabei könnten viele Technologien zum Einsatz kommen. Smart Meter brauche man nicht unbedingt dafür. Und ein bisschen zweifelt Kuhlmann, glaube ich, auch daran, dass allein die „smarte“ Technik es bei der dezentralen Verantwortung richtet. „Wie ist das mit dem intelligenten Verbraucher, der im Smart Home wohnt und lüftet wie im Altbau?“, gab er zu bedenken.
Auch für Christof Wittwer brauchen wir Smart Grids so oder so, um die Energiewende zu realisieren, da die Struktur in Richtung erneuerbare Energien verändert wird. Eine große Motivation für einen dezentralen Ansatz sieht er außerdem darin, dass man bei der für die Energiewende ebenfalls wichtigen Sanierung von Gebäuden nicht unbedingt weiter käme. Durch Smart Grids könne man hier den Verbraucher einbeziehen. Wittwer gab jedoch auch zu bedenken, dass beim Thema Smart Meter noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten ist. „Wenn der Kunde nicht sehen kann, wo der Mehrwert für ihn ist, holt er sich keinen Smart Meter“, sagte Wittwer. Man müsse Tarifanreize schaffen. Wenn man für den Verbraucher nicht mehr Nutzen schaffe, „verspielen wir eine Chance“, Smart Meter auch in die Breite zu bringen.
Ein interessanter Aspekt, den Wittwer ebenfalls als Hemmschuh bei der Energiewende sah, ist die Liberalisierung des Marktes. „Wir brauchen einen freien Markt, aber auch ein Instrument, das die Marktabnahme reguliert“. Bei integrierten Energieerzeugern seien die Produktion und die Abnahme besser abgestimmt. Deshalb hinterfragte Wittwer auch, ob dies der richtige Trend sei.
Aus der gestrigen Diskussion habe ich viel mitgenommen über die Vorteile und Schwierigkeiten, die der Einbezug der Verbraucher bei der Umsetzung der Energiewende mit sich bringt. Da gibt es noch viel zu tun. O-Töne und Eindrücke vom telegraphen_lunch bekommt Ihr in unserem Youtube Film.
PS: Andreas hatte zum Thema „Das intelligente Netz für die Energiewende“ auch schon mal hier im Blog geschrieben.