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Blog.Telekom

Andreas Middel

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„Wir sehen die Welle nicht, die auf uns zurollt“ – für Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom, verdeckt die gute Wirtschaftslage in Deutschland den Blick auf die Herausforderungen der Digitalisierung. 

Deutsche und europäische Unternehmen, so die Einschätzung von Dr. Rohleder, sind nicht international genug, nicht hungrig genug, um weltweit in der digitalen Wirtschaft mitzuspielen. In Deutschland gibt es rund 60 000 IT-Unternehmen, so Dr. Rohleder, aber die meisten seien zu klein und hätten sich behaglich und durchaus erfolgreich in ihren Nischen eingerichtet. Sie seien glücklich, wenn der Bürgermeister sie kennt. Das müsse sich ändern. „Wir müssen die Insel der Glückseligen verlassen“, sonst werden die deutschen Unternehmen vom Markt gefegt, wie in den ersten Wellen der Digitalisierung die europäischen Gerätehersteller und dann soziale Netzwerke wie etwa StudiVZ.

Anschauliche Bilder, die zur Thematik der telegraphen_lounge am Dienstagabend in Berlin passten.

Verpasst Europa die Chancen der Digitalisierung? – mit dieser Frage setzten sich Prof. Dr. Gesche Joost, seit gut 100 Tagen Digitale Botschafterin der Bundesregierung bei der EU, und Dr. Rohleder vor 60 Gästen auseinander. Und Prof. Gesche Joost widerspricht vehement der These, dass Europa ein Verlierer der Digitalisierung sei. „In Europa werden die Weichen gut gestellt“, sagte sie. Offenes Internet, open Data, open access, open government sind für sie herausragende Beispiele für gesellschaftliche Teilhabe über das Internet. Forschungsergebnisse, die jedem zugänglich sind, Behörden, die sich dem Bürger übers Netz öffnen, politische Beteiligung über das Netz – für Frau Prof. Joost ist das „der Grundgedanke des Vernetzens“.Die Herausforderung der Digitalisierung besteht für Prof. Gesche Joost vor allem darin, die digitale Spaltung zu überwinden. „Die verläuft quer durch die sozialen Schichten, ist keine Frage von Jung oder Alt“. Man brauche mehr E-Skills, mehr Medienkompetenz. Für Prof. Gesche Joost ist die Digitalisierung vor allem eine gesellschaftspolitische Herausforderung.

Dass Europa etwas unternehmen muss, um den großen IT-Unternehmen aus den USA oder Asien etwas entgegensetzen zu können – darin stimmen beide Diskutanten überein. Das Modell „Airbus“ aber hält Dr. Rohleder dabei für nicht geeignet. „Airbus ist der Traum eines jeden Industriepolitikers“ – es sei einer der wenigen Fälle, der zwar gelungen,  aber nicht auf die gesamte ITK-Industrie übertragbar sei. Positive Beispiele für europäische Erfolge präsentierte Dr. Rohleder mit „Angry Birds“ oder „Spotify“. Mehr internationale Ausrichtung fordert Dr. Rohleder von den IT-Unternehmen und verweist auf positive Beispiele aus Skandinavien.

Sowohl Prof. Gesche Joost als auch Dr. Bernhard Rohleder sehen im Datenschutz einen großen Vorteil und eine Chance für Europas IT-Wirtschaft. „Europäische Datenschutzstandards werden zu Wettbewerbsfaktoren“ sind sich beide einig. Leider, so Frau Prof. Joost, schleppe sich die Verabschiedung der Datenschutzgrundverordnung auf EU-Ebene dahin. Für Dr. Rohleder steht fest: „Wir brauchen knallharten Datenschutz, aber auch die Möglichkeit, mehr mit den vorhandenen Daten zu machen. Datenschutz und Datenreichtum gehören zusammen“. Das aber wollte Prof. Gesche Joost so nicht stehen lassen: „Wir brauchen eine ethische Debatte, aber auch praktische Regelungen zum Umgang mit Daten“.

Europa, so die Quintessenz des Abends, sieht doch nicht ganz so alt aus, wie es vielleicht manchmal scheinen mag.

PS: Die Debatte kann über #tlounge verfolgt werden.

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