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Katja Kunicke

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Wie Breitbandausbau Hörgeschädigte unabhängig macht

Der Netzausbau der Telekom eröffnet Hörgeschädigten völlig neue Möglichkeiten der Kommunikation und macht sie damit unabhängiger. Darüber spreche ich mit Christian Ebmeyer, Mitarbeiter im Geschäftskundenvertrieb bei der Telekom und selbst hörgeschädigt.

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Bei unserem Interview übernimmt eine Arbeitsassistenz das Dolmetschen durch Gebärden

Das Telefon klingelt. Als ich das Gespräch annehme, meldet sich eine weibliche Stimme "Hallo, hier ist Christian!" Im ersten Moment bin ich perplex. Es dauert einen Moment, bis ich mich auf die ungewohnte Gesprächssituation einstellen kann und mein Gehirn die folgende Information "Als Gebärdensprachdolmetscherin werde ich das Gespräch übersetzen" verarbeitet hat.

Mein Gesprächspartner, Christian Ebmeyer, ist taub. Die Gebärdensprachen-Dolmetscherin leiht Christian ihre Stimme - so kann er mit mir "klassisch" telefonieren. Ich möchte mit ihm darüber sprechen, was der Breitbandausbau für Hörgeschädigte bedeutet.

Für die Sprachtelefonie benötigen Hörgeschädigte die Unterstützung eines Gebärdendolmetschers - der steht allerdings nicht immer neben dem Telefon bereit. Die Alternativen sind Kommunikation über Text oder Bildtelefonie.

Textnachrichten benötigen zwar wenig Daten, es bleibt aber eine Distanz in der persönlichen Kommunikation. Nicht nur, weil ein technisches Medium als Hilfsmittel zwischen den Kommunizierenden steht, sondern auch, weil es keine Eins-zu-eins-Übersetzung aus der Gebärdensprache in die Schriftsprache gibt. Videotelefonie ist die Alternative, die aber wesentlich mehr Daten schluckt.

Christian ist für diese Fragestellung der Experte. Er selbst ist von Geburt an taub. Seit 32 Jahren arbeitet der gelernte Vermessungstechniker bei der Telekom. Nach Stationen als Telekom-Shop-Verkäufer und Vertriebsbeauftragter bei der Telekom Deutschland ist er mittlerweile in der Geschäftsentwicklung tätig.

Er pflegt den Kontakt zu Verbänden und Organisationen, zum Beispiel dem Deutschen Gehörlosenbund. Und er hat maßgeblich dazu beigetragen, die spezielle Deaf-Kundenhotline für Hörgeschädigte aufzubauen.

Heute beraten drei gehörlose Mitarbeiter hörgeschädigte Kunden via Livechat zu Produkten und Diensten der Telekom in Gebärdensprache. Zusätzlich bieten in der Online-Kundenberatung über Telekom hilft speziell geschulte Mitarbeiter via Textchat Unterstützung und Beratung für Hörgeschädigte.

Die Telekom ist der einzige Kommunikationsprovider in Deutschland, der ein Beratungsangebot speziell für hörgeschädigte Menschen anbietet. Insgesamt gibt es rund 14 Millionen Hörgeschädigte in Deutschland. Von diesen kommunizieren rund 80.000 in Gebärdensprache.

Bei unserem ersten Telefonat haben wir schnell gemerkt, dass es zu dem Thema viel zu sagen gibt. Wir verabreden uns deshalb für ein Interview. Das findet diesmal über die Videotelefonie-Software WebEx statt, so kann ich Christian auch sehen. Die Gebärdendolmetscherin hilft uns trotzdem, denn ich beherrsche diese Sprache nicht.

Kommunikation nur im persönlichen Kontakt

Ich frage Christian, wie wichtig moderne Telekommunikation für Hörgeschädigte ist. Seine Antwort ist eindeutig: Unverzichtbar! Grundsätzlich können Hörgeschädigte und Taube nur miteinander kommunizieren, wenn sie sich sehen . Wer kein Telefon nutzen kann, muss sich persönlich treffen - das schränkt den Aktionsradius und die Möglichkeiten von Kontakten sehr stark ein.

Erst dank Smartphone und mobilem Internet können Hörgeschädigte selbstbestimmt und barrierefrei am gesellschaftlichen Leben teilhaben, erzählt Christian. Um das zu verstehen, lohnt der Blick zurück, denn in den letzten zehn Jahren hat sich das Leben von Hörgeschädigten in Deutschland fundamental verändert.

Damals waren für die Festnetzkommunikation das ISDN T-View 100 und in der mobilen Kommunikation der Sidekick das Maß der Dinge. Bildtelefonie war nur im Festnetz möglich, aber die Bildqualität war sehr pixelig und ruckelig, erinnert sich Christian. Dementsprechend konnte auch die Kommunikation "ruckelig" sein, denn bei der Gebärdensprache ist auch die Mimik sehr wichtig. Mit dem Sidekick wurden Hörgeschädigte zwar vom Festnetz unabhängig, waren aber mit der Nutzung auf die 3G-Ausbaugebiete beschränkt.

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Ein frühes Smartphone war der Sidekick

Christian sagt, die Kommunikation damals war vor allem eines: regional sehr begrenzt und sehr teuer. Für das ISDN-Telefon wurden allein zwei Kanäle benötigt, das heißt für ein Fax war ein zweiter Anschluss nötig. Und es gab keine Flatrates. Bei jeder Verbindung und jeder SMS tickte der Gebührenzähler. "Fasse dich kurz" - der Slogan aus Telefonzellen - hat mit Blick auf die Kosten seine eigene Bedeutung.

Dolmetschdienst für Gebärdensprache

Mit den Tess-Relay-Diensten konnte in der Telekommunikation eine große Barriere abgebaut werden: Die zwischen hörenden und nicht hörenden Menschen. Der Festnetz-Dienst ging vor zehn Jahren an den Start. An der Entwicklung war die Telekom maßgeblich beteiligt.

Heute wird Tess zum überwiegenden Teil von den 20 größten Kommunikationsanbietern in Deutschland finanziert, die Nutzer tragen mit den Verbindungsgebühren ebenfalls zur Finanzierung bei. Der Dolmetschdienst ermöglicht über den per Bildtelefon zugeschalteten Gebärdensprachdolmetscher Telefonate und Übersetzungen zwischen Hörenden und Nicht-Hörenden.

Mehr Breitbandausbau - mehr Unabhängigkeit

"Ich habe sie alle" schmunzelt Christian und meint damit Messenger-Apps. Jeder seiner hörgeschädigten Freunde oder Angehörigen nutzt ein Smartphone, aber nicht jeder nutzt den gleichen Messenger-Dienst. Trotzdem schafft jede App ein Stück Unabhängigkeit, denn Christian kann seinen Freundeskreis per Instant Messenger, Skype oder FaceTime jederzeit erreichen. Und er muss nicht warten, bis man sich im Sportverein oder beim Stammtisch trifft.

Voraussetzung dafür ist die Netzabdeckung von rund 98 Prozent aller Haushalte in den deutschen Mobilfunknetzen. Apropos Netzabdeckung - ich frage Christian, wie er die aktuelle Diskussion über die Funklöcher in Deutschland beurteilt. Dazu hat er eine pragmatische Meinung: Klar gibt es Momente, in denen eine Verbindung nicht aufgebaut werden kann und er genervt ist. Aber verglichen mit der überwiegenden Anzahl an erfolgreichen Verbindungen sind die Verbindungsabbrüche verschwindend gering. Und: Kontakte sind jetzt ganz selbstverständlich auch außerhalb der gut mit Mobilfunk versorgten Ballungsgebiete möglich. Vielleicht nicht an jedem Ort als Videotelefonat, aber auf jeden Fall als Textnachricht.

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ZU IDSN-Zeiten eine Hilfe: Das Bildtelefon ISDN T-View 100

Mobil dank Dolmetschdienst per App

Die hohe Netzabdeckung und Verfügbarkeit von großzügigen Datenoptionen haben den Weg frei gemacht für die Erweiterung des Tess Dolmetschdienstes auch für die mobile Kommunikation. Tess gibt es mittlerweile auch als App für iOS und Android. Wie hoch der Nutzen für die Hörgeschädigten ist, bringt Christian mit dem Hinweis auf die Verfügbarkeit eines Notrufs für Gehörlose auf den Punkt.

Seit Juli 2018 gibt es den Notruf über die Tess-Relay-Dienste nun auch rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche. Ein Riesengewinn an Sicherheit, denn wöchentlich gehen Notrufe über Tess ein, die dann an die Rettungsdienste weitervermittelt werden.

Endlich barrierefrei

Voraussetzung für diese Unabhängigkeit ist natürlich ein großzügiges Datenvolumen. Denn es ist ärgerlich, wenn am Ende des Datenvolumens noch so viel Monat übrig ist … Damit das möglichst nicht passiert, hat Christian sich dafür starkgemacht, dass die Telekom in Kooperation mit dem Deutschen Gehörlosenbund eine spezielle Datenoption für Hörgeschädigte anbietet. Und die kommt gut an, erzählt mir Christian. Nach jeder Deaf-Messe steigen die Absätze spürbar an, um bis zu 50 Prozent in der Folgewoche gegenüber der durchschnittlichen Zahl an Buchungen.

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Christian Ebmeyer (link) und Katja Werz (rechts) unterhalten sich auf der Deaf Messe in Düsseldorf

Mit dem steigenden Bedarf der Zielgruppe wurde auch die Datenoption bereits mehrfach angepasst. Wo anfangs 5 GB pro Monat ausreichten, sind es heute bereits 10 GB und die Verhandlungen hinsichtlich einer Anpassung auf 30 GB sind bereits im Gang. Logisch, dass das nicht ohne eine Anpassung des Tarifs möglich ist.

Mit der Datenbrille "hören"

Christian sagt, erst die breite Verfügbarkeit des Mobilfunknetzes bietet ihm die Möglichkeit, barrierefrei und selbstbestimmt zu leben. Es macht ihn spontaner und unabhängiger von der Unterstützung Dritter, weil er Dinge einfach selbst organisieren und regeln kann. Erst jetzt fühle er sich als mündiger Bürger.

Dank der technischen Möglichkeiten gibt es heute viel mehr Jobprofile, auf die sich jetzt auch Hörgeschädigte bewerben können. Christian ist sich sicher, dass die Zukunft dank schneller Internetverbindungen noch ganz andere, einfachere Möglichkeiten der Kommunikation für Gehörlose bringen wird.

Er hofft auf die Einführung einer Datenbrille, die gesprochene Sprache aufnehmen, in Text umwandeln und auf die Brillengläser projizieren kann. Auf die Idee hatte ihn der Prototyp einer Datenbrille für Kinobesucher gebracht, die für die Alltagssprache weiterentwickelt werden könnte. Christian sieht der Zukunft optimistisch entgegen: Sowohl der weitere Breitbandausbau als auch technische Neuerungen werden den Alltag und die Kommunikationsmöglichkeiten von Hörgeschädigten weiter verbessern.

Mehr Infos im Video von der DEAF

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Schon gewusst?
Es gibt übrigens nicht DIE EINE Gebärdensprache - allein in Deutschland gibt es mehrere Dialekte. Und die Gebärdensprachen in anderen Ländern unterscheiden sich ebenfalls. Auch Hörgeschädigte können also Fremdsprachen lernen!

Wie entwickelt sich die Gebärdensprache weiter?
Wie die gesprochene Sprache entwickelt sich auch die Gebärdensprache ständig weiter. Neue Begriffe, zum Beispiel rund um Internet und Kommunikation, finden häufig über die englische Gebärdensprache den Weg in die deutsche Gebärdensprache.  

Das Telefon als Ergebnis von Forschungen zugunsten von Hörgeschädigten
Alexander Graham Bell, der wichtigste Mit-Erfinder des Telefons beschäftigte sich seit seiner Kindheit mit der Kommunikation mit Schwerhörigen. Bereits sein Vater arbeitete als Sprachtherapeut und Lehrer für Hörgeschädigte. So lernte er die stark schwerhörige Eliza Symonds kennen, die seine Frau und dann Alexanders Mutter wurde. Alexander folgte seinem Vater als Lehrer für Hörgeschädigte und beschäftigte sich ebenfalls intensiv mit Lautsprachen als Mittel der Kommunikation. Über seine Experimente mit Tönen und Schwingungen kam er auf die Entwicklung des Telefons und meldete es 1876 in den USA zum Patent an. Bei der Suche nach Partnern zur Vermarktung seiner Erfindung lernte Alexander Mabel Hubbard kennen, die Tochter eines Geschäftspartners, und heiratete sie. Er gründete die Bell Telephone Company, aus der später der Telekommunikationskonzern AT&T hervorging. Das Telefon trat seinen Siegeszug an, doch erst jetzt können Hörgeschädigte - die Menschen, für die Alexander sich zeit seines Lebens am meisten einsetzte - seine Erfindung auch für ihre regelmäßige Kommunikation nutzen.

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