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Michaela Weidenbrück

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Wir müssen die Unsicherheit aushalten – Eindrücke vom telegraphen_lunch

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Gibt es die menschliche Deformation durch immer mehr Digitalisierung? Oder wie Moderator Volker Wieprecht, radioeins, (rbb), provokant formulierte: Verblöden wir durch die digitale Überforderung? Kathrin Passig, Autorin und Journalistin, bewertete die Digitalisierung vor drei bis vier Jahren noch euphorischer als heute. Jetzt ist ihr bewusst, dass Veränderungen kein Nullsummenspiel sind. Es gibt Beschränkungen in Zeit, Gehirnkapazität und Gewohnheiten. In dem Moment, in dem sich etwas verändert, werden bereits besetzte Plätze neu belegt und natürlich wird hier etwas verdrängt. Aber das müsse nicht schlecht sein. „Rund 500 Jahre nach der Erfindung des Buchdrucks haben wir noch nicht alle daraus resultierenden Veränderungen beschrieben,“ zitierte sie das Buch „Der Buchdruck in der frühen Neuzeit“ von Michael Giesecke.  „Wir müssen lernen, Unsicherheit auszuhalten und uns Zeit geben, umfassende Veränderungen zu lernen,“ so ihr Statement.

„Digitalisierung erfordert eine Veränderung ähnlich einer Neukonfiguration, aber keine Deformation“, führte Prof. Reto Wettach, Fachbereich Design, Fachhochschule Potsdam, sowie Gründer und Design Direktor bei IXDS fort. Sein Schwerpunkt ist die Veränderung der körperlichen Interaktion. Wie gehen wir mit unserem Körper in der digitalen Welt um? Hier besteht noch großer Forschungsbedarf. „Wir werden neue Sinne entwickeln“, so Wettach. Als Beispiel nannte er ein Experiment, in dem Probanden einen Gürtel getragen haben, der vibrierte, sobald sie sich in Richtung Norden bewegten. Innerhalb kürzester Zeit war diese Kompassfunktion in die Wahrnehmung integriert. Das  führte dazu, dass die Probanden sich zum Beispiel in virtuellen Räumen viel schneller orientieren konnten.

Es bleibt die Frage: Wollen wir diese Veränderungen oder schaden sie uns eher? Fakt ist, die Veränderungen schaffen neue Gestaltungsräume. Durch Navigationssysteme werden neue Wege mit spontanen Abzweigungen möglich. Aufmerksamkeit verlagert sich von der Streckenführung auf bisher unbekannte Stadtteile oder Landschaften. Neue Kommunikationsmedien ermöglichen zudem Einblicke in bislang schwer zugängliche Milieus und Subkulturen.

„Wir haben zwar das Bedürfnis, alle notwendigen Informationen sofort zu haben, aber gerade die örtliche Unabhängigkeit und leichte Verfügbarkeit, kann uns überfordern“, so Passig. Allerdings sei das kein Phänomen der Digitalisierung. Mindestens seit der Erfindung des Buchdrucks beschäftigen sich die Menschen mit diesem Thema. Wettach argumentierte, dass wir uns die Tiefe der Information aussuchen können. Laien sind heute teilweise besser und schneller informiert als die Experten. Das kann für den Experten zwar peinlich sein, fördert aber aus seiner Sicht einen fruchtbaren Dialog. Es bleibe aber unbestritten, dass es heute schwieriger sei, die relevanten Informationen zu filtern. Laut Wettach sind wir noch „ganz am Anfang der Veränderung.“

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