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"Deutsche sind sekundäre Nesthocker"

Datenspionage ist noch immer in aller Munde; die Zahl der Cyber-Angriffe steigt rapide. Trotzdem nehmen es die Deutschen nicht so genau bei der Internet-Sicherheit. Das belegen jüngste Studien, wie der "Sicherheitsreport 2014". Warum sind wir so nachlässig, obwohl die Gefahr so real ist? Die Redaktion fragte bei Professor Dr. Christian Elger, einem Experten für Hirnforschung, nach.

Herr Professor Elger, jeder dritte Deutsche hat Angst vor Datenweitergabe. Aber fast niemand liest Datenschutzbestimmungen online oder schützt sich ausreichend vor Cyber-Gefahren. Woher kommt dieser Widerspruch?

Elger: Nun ja, die Leute haben Angst – und Angst blockiert das Gehirn. So dass man oft einfach gar nicht handelt. Das ist ein gängiges Verhalten von vielen Menschen, vor allem von Deutschen. Hinzu kommt: Je komplexer das System, desto weniger hat man das Gefühl, etwas dagegen ausrichten zu können. Man gibt auf oder vertraut darauf, dass andere sich schon kümmern, dass alles gut geht.

Also verdrängen wir digitale Gefahren, weil sie uns zu komplex sind?

Elger: Niemand weiß doch genau, wie man sich vor Gefahren im Netz schützt – oder wo sie überall lauern. Werde ich zum Beispiel vor Taschendieben gewarnt, passe ich einfach besser auf meine Tasche auf. Aber das Internet ist ja viel zu komplex, als dass man sich hier an einfache Regeln halten kann. Ich muss mich sehr konkret damit beschäftigen, um herauszufinden, wie ich mich schützen kann. Und wenn jeden Tag neue Hacker mit neuen Methoden auf der Matte stehen, geht das kaum. Und schon sind wir bei der Verdrängung. Es gibt außerdem eine Vielzahl an Gefahrenquellen im Netz. Lassen wir den Datenschutz einmal außen vor und nehmen das Beispiel der Betrüger, die gefälschte Ware auf Ebay als Original für einen Spottpreis anbieten. Unterbewusst ahnen die Leute, dass es eine Fälschung ist. Und bestellen es trotzdem. Zum einen, weil es bequem ist. Aber auch, weil hier Urinstinkte geweckt werden, die stärker wirken, als unsere Ängste.

Urinstinkte?

Elger: Nehmen Sie das Beispiel Schnäppchenjagd. Rabatte und niedrige Preise, die meist schlichtweg Augenwischerei sind, sprechen das Belohnungssystem im Hirn an. Die Leute haben das Gefühl, sie machen ein Schnäppchen. Das wiederum erzeugt den Drang, etwas haben zu wollen. Und die Vorsicht lässt nach. Diese Gier verdrängt dann auch jede Form der Angst.

Sie sagten eben, Deutsche seien so. Ist diese Vogel-Strauß-Mentalität besonders stark bei uns ausgeprägt?

Elger: Deutsche sind im Vergleich zu anderen Nationen durchaus ängstlicher. Wir sind eher die "sekundären Nesthocker". Wir trauen uns nicht so schnell an neue Herausforderungen ran, lehnen uns nicht gerne weit aus dem Fenster. Das liegt auch in unseren Genen und reicht Jahrhunderte zurück. Die Mentalität der Siedler beispielsweise, die nach Amerika gegangen sind, hat eine ganz andere Genetik dort geprägt. Amerikaner setzen sich offener mit neuen Dingen auseinander als wir Deutschen. Wir mögen keine Risiken. Uns ist vieles per se zu kompliziert und deshalb wagen wir uns gar nicht erst daran. Wir schieben den Gedanken lieber beiseite. Das trifft auch auf das Verhalten im Internet zu.

Wie kann man das Bewusstsein für Cyber-Gefahren hierzulande stärken?

Elger: Indem man das Thema Sicherheit einfacher macht. Die Deutschen müssen erkennen, dass Sicherheit machbar ist. Und zwar auf verständliche, unkomplizierte Art und Weise.

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