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Konzern

"Wir werden ständig manipuliert"

Welche Jobs werden wegfallen? Was sollen unsere Kinder lernen? Was hat der Film „Matrix“ schon heute mit unserem Leben zu tun? Zu solchen Fragen nahm Tim Höttges in einem ausführlichen Gespräch mit dem Handelsblatt Stellung. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass er die Chancen der Digitalisierung wesentlich höher einschätzt als die Risiken. Lesen Sie hier den dritten und letzten Teil des Interviews.

Ist der Hacker-Angriff, den die Telekom gerade erlebt hat, eine der Schattenseiten der Digital-Ära?

Sprechen wir von Cyber-Kriminellen. Es geht ja eben nicht um Hacker, die nach Sicherheitslücken im Netz stöbern, sondern immer mehr um organisiertes Verbrechen, professionelle Wirtschaftsspionage und gezielte, sorgfältig vorbereitete und technisch ausgefeilte Angriffe. Cyber-Kriminalität ist mittlerweile praktisch eine eigene Industrie.

Was ist diese Woche konkret passiert?

Der weltweite Cyberangriff eines Botnetzes zielte darauf, möglichst unauffällig weitere Rechner, in diesem Falle Router, mit Schadsoftware zu infizieren. Das ist bei uns nicht gelungen. Die in hoher Zahl wiederholten Versuche führten aber bei rund fünf Prozent unserer Router wegen einer bis dahin unbekannten Schwachstelle zu einer Überlast. Die ausführlichen Schilderungen finden Sie auf unserer Internetseite. Als Folge funktionierten in der Spitze rund 900.000 Router nicht.

Wie können sich die Konzerne, aber auch wir Kunden uns künftig dagegen wappnen?

Ganz allgemein? Wir sollten die Risiken von Cyberangriffen konstant im Blick haben. Gerade weil die Bedrohung schwerer zu fassen ist. Ein Bericht über eine Hai-Attacke vor Australien löst immer noch weltweit mehr Beachtung aus als ein Angriff auf zig Millionen Smartphones. Wir können uns wehren. Cyber Emergency Response Teams (CERT) sollten in den Unternehmen ausgebaut und enger verzahnt werden. Wir müssen unsere Kräfte bündeln. Das freiwillige Teilen von Informationen und das Wissen über Angriffe ist ein Element einer solchen Zusammenarbeit. Es geht um ein, verzeihen Sie den martialischen Ausdruck, gemeinsames Aufrüsten. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik leistet hier in meinen Augen übrigens sehr gute Arbeit.

Haben die Maschinen eigentlich schon die Macht, uns zu manipulieren, oder sind es noch die Menschen, die sie programmieren?

Künstliche Intelligenz – kurz:KI - ist uns noch nicht überlegen, auch wenn die Maschinen heute anders lernen als je zuvor, weil sie viel mehr Daten auswerten können. Mit teils noch skurrilen Ergebnissen. Bestes Beispiel dafür ist der Bot von Microsoft, der irgendwann anfing, faschistische Parolen von sich zu geben. Vielleicht übrigens auch ein Ergebnis der vergifteten Debatte im Netz. Wir waren der KI schlechte Lehrer. Insofern ist KI derzeit meist noch ein Bluff und geht über die perfekte Beherrschung von Standard-Routinen nicht hinaus. Der Super-Computer Watson ist für mich nicht deshalb interessant, weil er ärztliche Routine-Prozesse besser kann als der Arzt, sondern weil er in den Tiefen seines – ja, nennen wir es mal so: - Bewusstseins auch die letzten medizinischen Besonderheiten speichert und erkennt.

Und Spracherkennung wird das nächste ganz große Ding?

Ich kämpfe heute noch im Auto mit meinem sprachbasierten Assistenten, der mich nie versteht. Aber wir sehen auch den Trend, dass die nächste Generation Sprachnachrichten viel stärker nutzt und auch ihre Umwelt mit Sprache steuern will. Wir als Telekom werden unser Smart Home demnächst auf Spracherkennung umrüsten.

Mit eigener Technik?

Oder als Partner eines anderen Konzerns. Darüber will ich nicht spekulieren. Alle bisherigen sprachbasierten Tools wie Siri, Echo oder Alexa von Amazon stammen aus dem angelsächsischen Raum. Das heißt, dass wir schon allein durch diese Sprachbarriere Lichtjahre hinterher sind. Das ist leider symptomatisch. Und da hat uns nicht nur das Silicon Valley längst abgehängt.

Wer denn noch?

Ich war gerade in Israel, wo die Start-up-Szene noch viel dynamischer ist, was KI und das Internet der Dinge angeht. Wahnsinn! Eine unglaublich pragmatische Hightech-Szene, das auch riesige Mengen Risikokapital anzieht.

Dieser Hunger fehlt uns?

Ja, da sind wir eindeutig zu satt. Wenn ich in Deutschland mehr Digitalisierung anmahne, bekomme ich von Unternehmern oft gesagt: „Ja, ja, ist wichtig, aber was für meine Kinder. Meine Auftragsbücher sind ja noch voll.“ Aber so langsam merke ich auch: Da bewegt sich was. In der zweiten Hälfte der Digitalisierung, beim Internet der Ding, da spielt Europa sehr gut mit.

Ist Israel das neue Silicon Valley?

Erstens: Die Israelis haben unglaubliche technologische Kompetenz. Zweitens: Sie sind wahnsinnig schnell und neugierig. Noch unter dem Eindruck meiner Erlebnisse dort habe ich gerade meinen eigenen Mitarbeitern einen Blogeintrag geschrieben mit dem Titel: „We don’t have time for bullshit.“ Drittens: Sie haben rund um ihren militärischen Komplex eine Community gebildet, die weltweit ihresgleichen sucht.

Zufall oder Zwangsläufigkeit – sowohl das Silicon Valley als auch Israels Start-Up-Welt haben ihre Wurzeln im Militär?

Die gesamte Geschichte der Informationstechnik ist letztlich kriegerisch. Das Militär war immer schon gut darin, neue Technologien für ihre Zwecke zu entwickeln oder zu adaptieren. Und sie haben die Budgets. Aber umso mehr spricht ja dafür, diese Technik dann zivil und vor allem zivilisiert zu nutzen.

Wen machen Sie dafür verantwortlich, dass es kein europäisches Google, Facebook oder Amazon gibt?

Da spielen natürlich viele weitere Faktoren eine Rolle … unter anderem, dass US-Firmen schon mal einen gewaltigen Heimatmarkt haben, auf dem sie schnell die notwendige Größe erreichen können. Da haben wir in Europa schon schiere Sprachhürden. WhatsApp hat meine Industrie 40 Milliarden Euro gekostet. Es ist nicht so, dass wir Telekommunikationskonzerne nicht früh verstanden hätten, was dieser Neuling für eine Bedeutung bekommen würde. Damals setzten wir uns gemeinsam mit Kartellrechtlern hin und beschlossen ganz offiziell, als Antwort einen gemeinsamen IP-Messenger zu bauen. Danach gab es Hausdurchsuchungen bei allen beteiligten Unternehmen. Das gleiche Projekt hat WhatsApp einfach so aufgebaut … ohne Scherereien und der Einfachheit halber gleich für den gesamten Planeten.

Noch mal: Dass Otto nicht Amazon erfunden hat, Bertelsmann nicht Facebook oder Ihre Telekom nicht Google, hat wenig mit Sprachproblemen oder Kartellrecht zu tun.

Und IBM nicht SAP. Aber klar. Wir können von den Amerikanern da viel lernen: ihre radikale Konsequenz, Einfachheit, Benutzerfreundlichkeit, Kundenorientierung. Aber genauso wahr ist: Wir brauchen endlich einen europäischen Binnenmarkt.

… wenn der dann noch Jobs genug bietet. Schon jetzt bricht die Jugendarbeitslosigkeit in vielen südeuropäischen Ländern alle Rekorde. Wie schmal ist künftig der Grat zwischen Selbstoptimierung und Selbstausbeutung?

Sehr schmal. In einer Welt, in der ich Dank totaler Transparenz alle Talente und Fähigkeiten jederzeit global einkaufen kann, drohe ich in eine Spirale nach unten zu geraten.

Das heißt, der Programmierer in Bangladesh oder Bukarest ist dem in Walldorf oder Barcelona immer überlegen?

Die Transparenz der Löhne ist jedenfalls total. Umso wichtiger ist Wissen und lebenslange Fortbildung.

Hier in Ihrer Bonner Konzernzentrale antworten Sie auch mit architektonischen Umbauten auf die neue Zeit … alles soll offener und bunter werden. Das hilft?

Das ist ja nur ein Schritt. Wir hatten die Option, auf einem anderen Grundstück ein völlig neues Gebäude zu bauen. Aber dann hätten wir auch die Wurzeln zu unserer eigenen Unternehmensgeschichte gekappt …

… die auch von einer Ära als Staatsmonopolist, Beamten-Denke und Bürokratie geprägt war.

Durchaus. Aber die langen Gänge und die alte Architektur gehören eben auch zur Telekom. Den Wandel hin in eine digitale Zukunft erlebt man deshalb hier viel authentischer. Es ist nicht so clean und perfekt, aber so ist das eben, wenn man sich von innen heraus transformiert. Und was hinzukommt: Ich bin ein bisschen abergläubisch. Und immer wenn ein Unternehmen sich eine ganz neue Zentrale baute, erlebte es danach geschäftlich ein Desaster. Da gibt es jede Menge Beispiele.

Wie hängt das zusammen?

Wer anfängt, sich über repräsentative Gebäude Gedanken zu machen, ist schon dabei, sein Geschäft zu vernachlässigen.

Herr Höttges, vielen Dank für das Interview.

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