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Video-Interview mit Guy Standing

Das Redaktionsteam sprach mit Guy Standing, Professor für Entwicklungsstudien an der School of Oriental and African Studies (SOAS) der University of London.

Experteninterview-Standing

Sie befürworten ein bedingungsloses Grundeinkommen. Warum hat dies heute bessere Chancen auf Realisierung?

Guy Standing: Der Hauptgrund für das Befürworten eines Grundeinkommens sind aus meiner Sicht ethische und nicht wirtschaftliche Gründe. Ich bin zwar ein Ökonom, aber aus meiner Sicht sind das ethische Gründe.

Zum einen ist ein Grundeinkommen eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Unser aller Wohlstand und Einkommen hat viel mehr mit den Mühen unserer Vorfahren und vieler Generationen zu tun als alles, was wir für uns selbst tun. Wenn wir es zulassen, dass privater Wohlstand, Einfluss, Status etc. vererbt wird, sollten wir auch soziales Erben ermöglichen. Im Sinne eines Grundeinkommens als soziale Dividende.

Diese soziale Dividende ist sehr wichtig, denn der zweite und dritte Grund für die Unterstützung eines Grundeinkommens ist, dass wir die Freiheit damit fördern. Wenn ich die Sicherheit eines Grundeinkommens habe, habe ich mehr Freiheit. Die Freiheit „Nein“ zu sagen zu einer unterdrückenden oder missbräuchlichen Beziehung oder einem ausbeuterischem Arbeitgeber. Die Freiheit, als Gleichberechtigter meinen Weg in der Gesellschaft weiterzugehen. Das ist ein wichtiger Punkt.

Der zweite Grund ist, dass ein Grundeinkommen den Menschen eine gewisse Grundsicherheit gibt. Wir wissen aus vielen Quellen, das Grundsicherheit zu einem höheren IQ führt. Es verbessert deine mentale Stabilität. Es verbessert deine Fähigkeit, langfristige strategische Entscheidungen zu treffen und würdevoll zu handeln, wenn es darum geht, Werte und Einstellungen weiterzugeben, die auf Sicherheit basieren. Menschen, die Sicherheit haben, sind selbstloser. Sie sind toleranter anderen gegenüber. Sie unterstützen keinen politischen Extremismus. Sie sehen sich eher als Bürger. Ich denke, das ist ein wichtiger Punkt.

Als Ökonom sehe ich schließlich die zunehmende Ungerechtigkeit als weiteren Grund an. Sie wächst so schnell und wird auf dem herkömmlichen Wege, also mit steigenden Löhnen und Gehältern, nicht zum Stehen kommen. Die Reallöhne werden in den OECD-Ländern wie Deutschland, die USA, Frankreich, Großbritannien und Japan im Schnitt nicht sonderlich steigen. Sie stagnieren Jahr für Jahr. Das bleibt auch so, solange Globalisierung und technologischer Umbruch anhalten.

Wir müssen also erkennen, dass unser System der Einkommensverteilung in sich zusammenbricht und dass ein Grundeinkommen eine Möglichkeit zum Aufbau eines neuen Verteilsystems wäre. Es ist kein Allheilmittel. Es ist kein Selbstzweck. Es ist einer von zahlreichen Grundsätzen. Aus meiner Sicht sind bei der Zahl der Faktoren, die hier zusammenkommen, ein oder zwei hinzu gekommen. Ein zusätzlicher Faktor sind Roboter, das Gefühl, dass Automatisierung und Roboter Millionen und Abermillionen Menschen ersetzen werden. Das ist disruptiv. Ich denke, es wird viel Arbeit geben, aber diese Arbeit führt nicht zu guten Einkommen. Und ein Grundeinkommen kann als Vorbereitung auf diese disruptiven Auswirkungen gesehen werden, die mit Robotern und Automatisierung einhergehen.

Den letzte Grund, der letzte Faktor in diesem perfekten Ansturm bezeichne ich als politischen Imperativ. Wenn wir kein neues System haben, das Menschen, einfachen Menschen im Prekariat Sicherheit durch ein Grundeinkommen bietet, werden wir mehr und mehr Donald Trumps sehen – und davor fürchte ich mich.

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