

Mobilfunk am Irschenberg: Tanken, rasten, weitersurfen
Die Autos stehen am Irschenberg, doch das Smartphone hat Empfang. Über die Tücken der Mobilfunkversorgung an Deutschlands höchstgelegener Raststätte.
Wer auf dem Weg nach Süden ist, der kennt und fürchtet ihn: den Irschenberg, Dauergast in den Verkehrsmeldungen des Bayerischen Rundfunks. Mindestens eine Spur der Autobahn ist fast immer von Lkws blockiert, die sich, wie Perlen auf einer Kette aneinandergereiht, mühsam den Anstieg zur Autobahnraststätte hochkämpfen. Aber nicht nur für Lastwagenfahrer, sondern auch für Funknetzplaner ist der Irschenberg eine Herausforderung.
Fünf Würzburger Abiturienten stellen sich an der Raststätte Irschenberg fürs Selfie bereit. "Näher ran", sagt der mit dem Handy in der Hand. Sie rücken rund um den Holztisch neben der Currywurstbude zusammen, stoßen mit den Köpfen aneinander, damit sie in den Bildschirm passen. Der eine zieht an seiner Zigarette, die heiße Mittagssonne blendet. "Jetzt mach", sagt ein anderer. "Ok. Cheeeeeese". Zack, das Bild ist aufgenommen: viel zu hell, die Augen zerknautscht, aber egal: Es ist das erste Selfie der Abi-Fahrt, auf dem Weg nach Italien.
Noch schnell auf Facebook hochladen, Gesichter markieren – und schon rennen die Abiturienten los zu ihrem Bus. Er hält nur kurz auf der Irschenberger Raststätte an der A 8, die mit 721 Metern die höchste Deutschlands ist. Die meisten bleiben nur ein paar Minuten. Dennoch ist auf diesem Umschlagpunkt mächtig viel los: Reisende auf dem Weg ab in den Süden nach Österreich, Italien, Kroatien; Geschäftsleute, die nach München wollen sowie Lkws, Gruppenbusse und Kleintransporter.
An der Tankstelle reihen sich Autos hintereinander, in der Toilette stehen Frauen Schlange. Ein Getränk nach dem anderen wird dem Kühlregal in der Tankstelle entnommen, heute hat es über 30 Grad. Kaum sind die Würzburger Abiturienten weg, haben sich bereits die Nächsten an dem Holztisch niedergelassen. Auch sie packen ihre Smartphones aus, surfen im Netz und genießen ganz nebenbei die Aussicht bis nach Rosenheim. Was man nicht sieht, wenn man oben steht: Für den Mobilfunk ist so ein rege besuchter, steiler Berg eine echte Herausforderung.
In der Münchner Telekom-Zentrale zeigt Toni Baumann eine Höhengrafik des Irschenbergs auf seinem Bildschirm. Sieben Prozent Steigung bringen nicht nur die Lkws ins Schwitzen, sondern auch die Funkwellen. "Das Gefälle erschwert eine Flächenabdeckung", sagt Baumann. Der Funknetzplaner im blau-weiß karierten Hemd weiß, wovon er spricht. Seit 38 Jahren ist er im Unternehmen und seit Mitte der 80er-Jahre, optimiert er Funknetze. "Das ist wie bei einer Taschenlampe: der Lichtkegel kommt nicht immer in alle Ecken rein."
Nun öffnet Baumann eine digitale Landkarte des Mobilfunknetzes von München bis Salzburg. Auf dem Irschenberg stehen drei Masten: Nummer 61, 62 und 63. Sie befinden sich auf verschiedenen Höhen: auf einer Wiese, einem Bauernhof und dem Rastplatz hinter der Tankstelle. Ein Mast hier sendet etwa 300 bis 2.000 Meter ellipsenförmig und leicht abgesenkt nach vorne. "Eben diese Konstellation macht es möglich, den Irschenberg abzudecken", sagt Baumann.
Aber es kommt eine zweite Hürde hinzu, die sogenannte Überreichweite: Wenn die Masten zu nah aneinander liegen, kommen sie sich gegenseitig in die Quere. Baumann: "Das wäre ungefähr so, wie wenn mir von links und von rechts jemand ins Ohr schreit. Ich höre dann zwar etwas, verstehen kann ich aber nichts." Genauso wenig kann sich ein Handy entscheiden, an wen es senden und von wem es empfangen soll. Die Überlappung zweier Sendebereiche muss optimal abgestimmt sein, nur dann ist es möglich, das Handy unterbrechungsfrei von der einen zur anderen Funkzelle zu übergeben.
Baumann rechnet also an seinem Computer ganz präzise durch, welcher Mast wohin sendet, damit sich die Gebiete nur ganz leicht berühren und nicht zu sehr überschneiden. "Es muss eine schöne gleichmäßige Netzstruktur entstehen", sagt Baumann.
"Gerade auf der Raststätte ist guter Empfang essenziell", sagt Irschenbergs Bürgermeister Hans Schönauer, der bereits in seiner dritten Amtszeit ist, am Telefon. Er beobachtet, dass immer mehr Mobilfunk benötigt wird, doch zu Engpässen habe es auf dem Irschenberg noch nicht geführt. "Wir können nicht klagen, dass wir zu wenig Empfang haben." Er selbst fährt mehrmals die Woche nach München und hält gern an der Irschenberger Raststätte.
Ein paar Hundert Meter weiter von der Tankstelle lauert Kontrastprogramm zum Autotrubel. Hinter dem McDonalds geht es nach links ab. Die Straßen werden enger, die Aussicht wird grüner. Nach schon ein paar Minuten erreicht man die Wallfahrtskirche Wilparting, ein echter Geheimtipp für Reisende, die ihre Autopause in Ruhe genießen wollen. Der prächtige Barockbau ist mehrere Hundert Jahre alt.
Gleich nebenan: der Gasthof zum Moar. Alte Holzbänke im Biergarten, es wird deftig-bayerische Kost serviert. Ein Hund legt sich unter den Tisch. Nebenan grasen Ziegen vor dem malerischen Alpenpanorama. Nahe waldige Berge und ferne verblaute Gipfelspitzen. An jedem Tisch tippt auch jemand auf dem Handy herum.
Ein Kellner kommt in kurzen Wildlederhosen. Ob hier denn viele Leute im Internet surfen? "Jo, imma mehr", sagt er. "I finds owa guad, wemma ned imma Empfang hod. Dann muaß ma wieda mehr redn." Er grinst. Mit dem Menü unterm Arm ist er schon beim nächsten Tisch und nimmt Bestellungen auf.
Für die Staumeldungen des ADAC ist guter Empfang allerdings entscheidend - gerade jetzt in der Haupturlaubssaison. Das bestätigt Alex Arnold von der ADAC-Zentrale Südbayern. Sein Team nutzt den Mobilfunk und mobile Daten bei ihrer täglichen Arbeit. "Wir sind am Irschenberg regelmäßig mit dem Staustudio vertreten", so Arnold. Etwa, um Staubilder abbilden zu können. "Die Karten liefern wir dem Bayerischen Rundfunk und anderen Radiosendern. Darauf sieht man in Echtzeit die Flächen, wo es sich staut". Die Flächen sind rot für Stau, gelb für stockenden Verkehr und blau für freie Fahrt hinterlegt.
"Die ersten drei Wochen im August sind immer die Neuralgischen", sagt Arnold. Zu dieser Zeit ist sogar ein Flugzeug in der Luft. On Air aus dem Flugzeug berichten die ADAC-Reporter für Bayerns Radiosender über die Verkehrslage. Das Flugzeug hat eine Sondergenehmigung: Es darf extra tief fliegen, damit es in Reichweite der Mobilfunkmasten ist.
Rechtzeitig zur Urlaubszeit hat die Telekom noch mal nachgelegt und ihre Kapazitäten aufgestockt und LTE angeschaltet. Davon profitieren natürlich nicht nur das ADAC-Flugzeug, sondern auch die Reisenden auf Beifahrersitz und Rückbank, die schneller surfen und ruckelfrei Videos schauen können.
Das sollte aber niemanden davon abhalten, trotzdem eine Pause auf dem Irschenberg einzulegen. Die Aussicht ist es allemal wert. Im Gasthof zum Moar setzt sich ein Herr im weißen Hemd an den Tisch; sein Name ist Dieter. Der Geschäftsmann aus Stuttgart bestellt Weißwurst mit Breze, nimmt sein Nokia-Handy zur Hand und verschickt ein paar E-Mails. Er nutze gerade in der Ferienzeit gerne die mobilen Daten, um erreichbar zu sein - etwa an diesem schönen Tag, den er statt am Schreibtisch lieber im Freien verbringen möchte. "Zu dieser Jahreszeit ist unser Büro dünn besetzt", sagt er und beißt in seinem mobilen Biergartenbüro in die Breze.
Essen im Gasthof zum Moar mit herrlichem AusblickText: Caroline Eichhorn