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Ist New Work das Neue Normal?

Oliver Herrmann ist im HR-Bereich der Telekom für „New Ways of Working“ verantwortlich. Im Interview erklärt er, wie die Corona-Krise New Work beschleunigt hat und warum das Neue Normal ein Übergang dahin ist. 

Beschleunigt die Corona-Krise den Weg zur neuen Arbeit? 

Oliver Herrmann: Man kann auf diese Pandemie aus unterschiedlichen Blickwinkeln schauen. Bereits vor Covid-19 haben wir in vielen Bereichen festgestellt, dass wir in einer sich schnell verändernden sogenannten VUCA-Welt leben. Das steht für: volatile, uncertain, complex und ambiguous. Diese Welt erfordert eine adäquate Arbeitsweise: agil, explorativ, experimentell, permanent hinterfragend und Hypothesen überprüfend. Da die VUCA-Welt eben nicht-linear ist, helfen „best practices“ der Vergangenheit in der unsicheren Zukunft nicht zwingend. Wenn wir ehrlich sind, haben wir uns in den allermeisten Fällen jedoch so verhalten, als ob die Zukunft sich linear aus der Vergangenheit entwickelt. Dann kam Corona. Und damit wurde klar, dass es eben keine lineare Weiterentwicklung mehr geben konnte.

Die Pandemie als Blaupause fürs andere Arbeiten? 

Oliver Herrmann: Wir haben quasi ein gigantisches Experiment durchgeführt. Wir waren gezwungen, genau das zu machen, was man eben in der VUCA-Welt macht – trial and error, sense and respond, also ausprobieren und in kurzen Zyklen überprüfen, welche Effekte daraus resultieren. Wir mussten neues Wissen generieren und "good practices" entwickeln. Dadurch, dass in dieser Situation keiner – auch keine Führungskraft – ein ausgewiesener Experte war, waren wir alle auf Augenhöhe, mussten gemeinschaftlich zu sinnvollen Lösungen finden und uns selbst organisieren. Wir sind näher zusammengerückt und haben alle viel gelernt, etwa wie wir unsere vorhandenen Collaboration-Tools effektiv für verschiedenste Formen von virtueller Zusammenarbeit einsetzen. Und wir haben auch gelernt, was sich nicht bewährt hat, was wir also wieder aufgeben werden.

Insofern hat Corona vieles von dem beschleunigt, was wir mit „New Ways of Working“ erreichen wollen: permanentes Lernen, immer neue Experimente durchführen, auf Augenhöhe und im Netzwerk arbeiten, iterativ, agil und explorativ.

Oliver Herrmann

Oliver Herrmann ist im HR-Bereich der Deutschen Telekom für das Thema „New Ways of Working“ verantwortlich.

Es gibt Stimmen, die sagen, dass das Neue Arbeiten ein Synonym für New Work ist? Es gehe letztlich um die Flexibilisierung von Arbeit. 

Oliver Herrmann: Das wäre schön. New Work geht im Ursprung auf Frijthof Bergmann zurück und ist damit mehr als Flexibilisierung. New Work, wie von Bergmann vor mehr als 20 Jahren bereits formuliert, ist eine umfassende sozialphilosophische Vision von Arbeit mit weitreichenden Zielen und eine Alternative zu Kapitalismus und Sozialismus. Arbeit muss dem Menschen seine Handlungsfreiheit geben und wirklich sinnstiftend sein. Bergmanns Ziele von New Work gehen jedoch weit über die Arbeitswelt hinaus, zum Beispiel, dass es weltweit keine Armut und keine Verschwendung von natürlichen Ressourcen gibt und die Zerstörung des Klimas aufhört. Und das sollten wir über die aktuelle Covid-19 Pandemie hinaus nicht vergessen: New Normal darf nicht nur die Antwort auf einen Virus sein! Es gab und gibt fundamentale, in ihrem Bedrohungspotential dem Virus nicht unähnliche Entwicklungen, die auch nach Covid-19 noch virulent und nicht überwunden sind.

Treiber ist der Wunsch nach sinnvoller und selbstbestimmter Arbeit.

Oliver Herrmann: Wir haben in den letzten Monaten sehr viel Selbstbestimmung erlebt. Viele von uns sind im Homeoffice und haben sehr unterschiedliche neue Herausforderungen zu bewältigen. Manche waren alleine auf sich gestellt, andere haben Kinder, die parallel zur Arbeit betreut werden mussten. Und was ist passiert? Nach allem, was wir sehen, haben wir diese Handlungsfreiheiten und das daraus erwachsene, stärker selbstbestimmte und -organisierte Arbeiten erfolgreich umgesetzt: wir waren produktiver, gesünder und zufriedener – und das während einer Pandemie! Das unterstreicht für mich, dass sich New Work „lohnt“: wenn wir sinnstiftend, unseren Kompetenzen gemäß und selbstbestimmt arbeiten können, resultieren daraus Zufriedenheit, Motivation und gute Geschäftsergebnisse.

Was ist hybrides Arbeiten und was sind die Herausforderungen?

Oliver Herrmann: Aktuell wird der Terminus „hybrides Arbeiten“ vor allem verwendet, um zu beschreiben, dass und wie wir die Mischung aus stationärem Arbeiten im Büro und Remote-Arbeit organisieren. Darüber hinaus wird er häufig verwendet, um die Vereinbarkeit von agilem Arbeiten und klassischem Projektmanagement zu beschreiben.

Wie sieht das konkret im Arbeitsalltag aus?

Oliver Herrman: Im ersten Fall sehen wir drei unterschiedliche Szenarien. Zum einen, dass ein Teil der Kollegen im Büro ist und zusammenarbeitet. Zum anderen, dass Kollegen alle remote verteilt sitzen und zusammenarbeiten. Beide Fälle lassen sich relativ gut organisieren. Wir haben gut ausgestattete Büros und Collaboration Tools wie etwa Webex, die uns erlauben, virtuell gut miteinander zu arbeiten. Die Koexistenz beider Formen wird zum Teil schon als hybrides Arbeiten bezeichnet. Wirklich hybrid und herausfordernd wird es dann, wenn ein Teil der Kollegen sich in einem Raum aufhält und ein anderer Teil sich remote dazuschaltet. Das erfordert eine exzellente technische Ausstattung des Raums, in dem sich die Kollegen aufhalten, also beispielsweise mehrere im Raum verteilte Mikrofone, Kameras, die sich automatisch auf den Sprechenden richten und so weiter. Außerdem eine enorme Disziplin der Kollegen: am besten hat jeder zusätzlich noch die Kamera seines Notebooks an und ist stummgeschaltet, es gibt keine Nebengespräche, keine Dokumentation auf Flipcharts, kein Papierrascheln, keine Gläser in Mikrofonnähe. Das gelingt selbst den besten Teams selten richtig gut. Hier hat sich eher der Grundsatz „one person, one line“ bewährt, also jeder ist für sich remote eingewählt, sobald es Kollegen gibt, die nicht im Raum sein können.

Und wie sieht der zweite Fall aus? 

Oliver Herrmann: Im zweiten Fall, also bei der Vereinbarkeit von agilem und klassischem Arbeiten, ist es komplizierter, das Beste „aus beiden Welten“ effektiv zusammenzubringen. Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass in bestimmten Projektphasen die eine oder die andere Vorgehensweise angewendet wird. Gerade zu Beginn, wenn die Produktvision eventuell noch nicht so klar ist, könnte man beispielsweise mit einer agilen Vorgehensweise beginnen, die dann im Laufe der Entwicklung, wenn die Produktvision klar beschrieben ist, auf klassisch umgestellt wird. Oder man entwickelt Teile eines Produkts agil, etwa eine App, andere klassisch, zum Beispiel den Aufbau der notwendigen Cloud-Infrastruktur. Das Team sollte möglichst undogmatisch entscheiden, was am sinnvollsten ist.

Wie müssen wir uns das neue Führen vorstellen?

Oliver Herrmann: Führung findet hier auf mehreren Ebenen statt, die gleichberechtigt sind: disziplinarisch wie fachlich. Wir benötigen die exzellenten technologischen Experten und Visionäre genauso wie hochempathische Teamleiter, die sich um die Entwicklung von Kompetenzen kümmern. Und Führung wird partizipativ werden, die Herausforderungen sind zu komplex, als dass sie eine Person alle bestmöglich bewältigen kann. Also werden situativ Führungsaufgaben von unterschiedlichen Rollen wahrgenommen. Es geht dann nicht nur um „führen“, sondern noch viel mehr um „geführt werden“. Wie gut lassen wir uns selbst führen? Und wie gut lassen wir los? Das Schwierigste an diesem veränderten Verhalten ist für „klassische Führungskräfte“ das Loslassen. Es fühlt sich merkwürdig an, wenn man nicht mehr ständig „gebraucht“ wird oder „alles (besser) weiß“. Und es erfordert eine Durchgängigkeit im Unternehmen, in der Führungskräfte nicht mehr danach beurteilt werden, ob sie zu allem auskunftsfähig sind und ob sie „alles im Griff“ haben.

Wie sieht unsere Arbeitswelt in fünf Jahren aus?

Oliver Herrmann: Fünf Jahre sind in unserer sich so rasant verändernden Welt eine kleine Ewigkeit. Dennoch werden einige Grundeigenschaften sich nicht ändern. Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen den Austausch miteinander. Was sich jedoch verändern wird, ist, dass wir dazu nicht mehr zwangsläufig physisch in einem Raum sein müssen. Soziale Intranets und weiterentwickelte Collaboration-Tools werden den Kaffeeküchentreff weitestgehend ersetzen können. Die Kaffeeküchen wird es weiterhin geben, aber wir brauchen sie weniger, um soziale Nähe aufzubauen und Informationen zu teilen. Es wird normal sein, dass wir Feedback- und Entwicklungsgespräche virtuell durchführen. Tele- und Videokonferenzen werden Flugreisen ersetzen. Nicht mehr das Büro oder das Homeoffice bestimmen, wo Arbeit verrichtet wird, sondern wir bestimmen durch den Ort und den Zeitpunkt, an denen wir arbeiten unseren Arbeitsplatz. Wir werden mehr Optionen bekommen, wann, wie und wo wir arbeiten. Die Grenze zwischen Arbeit und Privatem wird für den ein oder anderen noch mehr verschwinden. Wer das nicht will, der oder die wird aber weiter eine klare Grenze ziehen können. Wir werden mehr asynchron arbeiten, das heißt Abstimmungen und Informationsaustausch sind nicht an die Kernarbeitszeit gebunden, sondern werden über Tools transparent dokumentiert und zugänglich gemacht. Unsere Büros werden mehr zu Orten der Zusammenkunft, der Identitätsstiftung und des gemeinsamen Erarbeitens von komplexen Problemlösungen, das dann doch besser in extra dafür ausgelegten Kreativ- oder Technikräumen gelingt. Shared Desk im heutigen Sinne wird es kaum mehr geben. Dafür werden wir mehr flexible Angebote wie Co-Working Flächen sehen – auch für Großkonzerne.

Geht doch! Arbeit. Neu. Gestalten.

Geht doch! New Work im Film

Eine Dokumentarfilm über New Work von Forever Day One in Koproduktion mit der Deutschen Telekom.

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